Treibgut der Strudelsee
Wie Lichtspeere drangen ihre letzten Strahlen durch das Geäst. Schatten senkten sich über das Eiland, während die ewig kreisenden Wasser des Strudels noch in hellem Schein lagen. Tiere, die an Rehe erinnerten, traten aus dem Wald und mischten sich unter die Menschen und schienen keine Furcht zu kennen. Vögel stimmten ihr Abendkonzert an, und irgendwo quakten Frösche.
Dann hörte Mythor andere Stimmen. Er richtete sich träge auf und sah eine Gruppe von Männern aus dem Gebüsch treten, die er bislang noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Ihnen aber folgten andere, und diese kannte er.
Steinmann Sadagar ging an ihrer Spitze, neben ihm sein seltsamer Freund. Als Sadagar Mythor erblickte, stieß er einen Jubelschrei aus und begann zu rennen. Mythor sprang auf, und lachend fielen sich die Gefährten in die Arme. Der Steinmann hatte Tränen in den Augen, umfasste Mythor so fest, als ob er ihn erdrücken wolle. Dann machte er sich los, fiel zu Boden und rief laut aus: »Oh, du Kleiner… Schöner Nadomir! Vergib einem schwachen Geist, dass er an dir zu zweifeln wagte! Wo immer du jetzt bist, nimm meinen Dank für Mythors Rettung entgegen!«
Er stockte und sah Mythor unsicher an. Der aber lachte wieder und sagte: »Auch ich muss ihm wohl Abbitte leisten, Sadagar, und dir.«
»Du weißt also, dass er…?«
»Ich weiß es jetzt. Ohne ihn wäre ich…« Mythor winkte ab. »Vergessen wir das. Kommt, Freunde, kommt alle her und stärkt euch!«
Nilombur stand hinter ihm und breitete die Arme aus. »Ja, stärkt euch an dem, was uns gegeben ist! Es soll euch an nichts mehr fehlen! Seid alle willkommen im Lande Sarmara!«
Männer und Frauen brachten große Holztafeln mit gebratenem Fleisch herbei, dazu randvolle Krüge mit Wein. Bald war der Platz überfüllt mit jenen, die das Ende der Gasihara überlebt hatten. Aber jeder bekam, was er begehrte. Die Quelle, die die Menschen von Sarmara mit Nahrung und Trank versorgte, schien schier unerschöpflich.
Mythor zählte die Überlebenden nicht, nachdem Sadagar ihm knapp berichtet hatte, was sich an Bord noch zugetragen hatte und wie die Lichtfähre schließlich an der Küste des plötzlich aufgetauchten Landes im Zentrum des Strudels gestrandet war. Doch er schätzte, dass mehr als die Hälfte der Legionäre für Logghard mit dem Leben davongekommen waren.
Nur der Seemagier und der Kapitän, berichtete Sadagar, hätten den Tod in den Fluten gefunden.
Doch das war bald vergessen. Die Nacht brach herein. Tausend funkelnde Sterne zeigten sich am Firmament. Silbern blitzte der Halbmond am klaren Nachthimmel.
Und tatsächlich schien das Eiland auch die härtesten und verbittertsten unter den Legionären zu verwandeln. Sie lachten und tanzten bald wie Kinder, ließen sich von den Frauen und Mädchen verwöhnen und verbrüderten sich mit den Männern der Insel. Manches Paar verschwand in der Dunkelheit des Waldes. Golad und Farina saßen nahe bei Mythor, und ihre Blicke verrieten, dass sie endlich das Land gefunden zu haben glaubten, das sie so lange gesucht hatten – das Land der Liebe.
Sadagar und Chrandor ergingen sich in Beteuerungen, dass sie dem jeweils anderen niemals wirklich gegrollt hätten. Sie tranken auf ihre Freundschaft, bis der ehemalige Pirat schnarchend am Boden lag.
Draußen ging das Fest weiter, als Mythor sich müde in eine der Hütten zurückzog. Eine Weile noch lauschte er den Gesängen der Männer und dem fernen Rauschen des Strudels. Dann fiel er in einen tiefen, unruhigen Schlaf. Er sah sich in seinen Träumen wieder eingeschnürt in einen Sack und fühlte, wie der Schatten nach seiner Seele greifen wollte. Schweißgebadet wachte er auf und sah durch den offenen Eingang die Feuer brennen. Männer und Frauen schliefen gemeinsam auf der warmen und weichen Erde.
Wieder übermannten ihn die Träume. Er sah sich selbst in der Gruft der Gwasamee, im Schlachtgetümmel von Dhuannin, im Baum des Lebens und im Koloss von Tillorn. Gesichter tauchten auf und machten anderen Platz: Kalathee, Luxon, Drudins Todesreiter und Fronja, immer wieder Fronja. Ihr Antlitz füllte den Himmel aus, der von dunklen Wolken überzogen wurde und unter dem die anrennenden Horden von Caer eine Stadt um die andere in Schutt und Asche legten.
Fronjas Lippen öffneten sich, doch Mythor verstand nichts von dem, was sie ihm sagte. Nur die Unrast, die ihn von einem Fixpunkt des Lichtboten zum anderen getrieben hatte, war plötzlich wieder da, und als er erneut erwachte, wusste er, dass
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