Treibgut der Strudelsee
Logghard, die Ewige Stadt des Lichtes. Dorthin waren sie unterwegs, um jene zu verstärken, die seit nunmehr 249 Sommern einen aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die Mächte der Finsternis fochten.
*
Der Knabe zitterte. Seine Hände hatten nicht mehr die Kraft, die Ruderstange zu umfassen. Scheu blickte er den Mann neben ihm aus seinen großen Augen unter dem bis auf die Brauen reichenden weißen Tuch an. Es war mehrere Male um seinen Kopf geschlungen. Weiß war auch das weite, bis zu den Fußknöcheln reichende Gewand, das in der Körpermitte nur durch einen Strick zusammengehalten wurde. Farin, wie der Halbwüchsige sich nannte, hatte sich standhaft geweigert, es abzulegen, obwohl es für einen, der an die Ruder musste, denkbar unbequem war. Die Mannschaft Jejeds hatte ihm schließlich seinen Willen gelassen und gelacht. Wenn er sich unbedingt zu Tode schwitzen wollte…
»Sei ruhig«, sagte der dunkelhaarige Krieger, legte sich in die Riemen und biss die Zähne aufeinander. »Er wird es vergessen.«
»Aber du… Er hätte dich töten können!«
Der Knabe flüsterte es, und doch hatte seine Stimme wieder jenen seltsamen Klang, als schäme er sich seiner Jugend und bemühe sich, wie ein Mann zu sprechen.
»Er braucht uns«, knurrte nun der, der an Farins anderer Seite saß, ein Mann, der seine besten Jahre hinter sich hatte, mit fast weißem Haar und Vollbart. »Ruh dich aus, Junge, und wenn du kannst, hilf uns wieder. Solange schaffen wir es auch allein.«
Der Dunkelhaarige schenkte ihm einen dankbaren Blick. Farin aber drehte die Hände so, dass er die blutenden, aufgerissenen Innenflächen sehen konnte, und schüttelte den Kopf. Nur mit Mühe hielt er die Tränen zurück.
»Ich will nicht, dass ihr meine Bürde auf euch nehmt. Es war nur eine kurze Schwäche.«
»Keiner von uns nahm das hier freiwillig auf sich«, sagte der Dunkelhaarige. »Nun leg die Hände auf die Stange und tu so, als ob du ruderst, bevor sie dich doch noch fortholen. Bald kommt die Ablösung.«
Der Knabe wollte widersprechen, senkte dann aber den Blick und tat wie ihm geheißen.
»Du hast mit Absicht den Zorn des Kapitäns auf dich gelenkt«, flüsterte er nach einer Weile zwischen den Ruderschlägen. »Du wolltest mich beschützen. Warum?«
»Weil wir auf der Gasihara nur überleben können, wenn einer dem anderen hilft, Farin. Wir sind fünfhundert Mann. Jejed hat zwanzig Kerle, Menschenschinder allesamt.«
»Jetzt einen weniger«, knurrte der Weißhaarige.
»Trotzdem genug, um uns zu knechten, denn ihre Hände sind nicht gefesselt und sie haben Peitschen.«
»Und einen Magier, vor dem alle zittern«, fügte der andere hinzu.
Farin sah sie abwechselnd an. Dann blieb sein Blick auf dem Dunkelhaarigen haften, auf den hervortretenden Muskeln seiner kräftigen Arme, auf seinen Lippen, die zu einem schmalen Spalt wurden, wenn er sich nach hinten legte und das Ruder zog, auf den Augen, aus denen Stolz und Unbeugsamkeit sprachen.
»Sage mir deinen Namen«, bat der Knabe. Seine Hände lagen auf der Stange und zogen mit daran. Er war nicht bereit, sich zu schonen, und der Zeitpunkt seines Zusammenbruchs zeichnete sich ab.
»Du sollst doch nicht…!«
»Sage mir, wie man dich nennt«, wiederholte Farin.
»Mythor«, antwortete der Krieger.
»Ein… seltsamer Name.«
»Achtung!«
Einer von Jejeds Männern war bei ihnen stehengeblieben und ließ die Peitsche knallen. »Redet nicht! Das könnt ihr tun, wenn wir am Ziel sind!«
Es hörte sich nicht so an, als glaube der Seefahrer daran, dass die fünfhundert Legionäre dieses Ziel jemals erreichen würden.
*
Findelkind, Gejagter, Krieger, König und nun Legionär -einer von fünfhundert Unfreiwilligen auf der Gasihara. Mythors junges Leben kannte viele Stationen, denen offenbar nur eines gemeinsam war: Jede von ihnen hätte seine letzte sein können.
Mythor sah hinaus aufs relativ ruhige Meer. War Luxon, der Mann mit den tausend Namen und tausend Gesichtern, ebenfalls schon auf dem Weg nach Süden? An Bord einer anderen Galeere? Oder gar hier, als einer der fünfhundert Legionäre?
Der Sohn des Kometen glaubte nicht daran. Einer wie Luxon, dem das Glück sprichwörtlich in den Schoß fiel, würde eine andere, weitaus angenehmere Möglichkeit finden, die Strudelsee zu überwinden oder ganz zu umgehen.
Alles hatte er ihm geraubt, alles außer seinen drei Tieren, die König Lerreigen von Leone mit sich genommen hatte, um sie wieder zum verwunschenen Tal zu bringen, wo sie,
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