Treibgut
hinzu: »Ist an jenem Morgen vielleicht eine seiner Patientinnen gestorben? Jemand, der ihm besonders nahestand? Oder dessen Tod ihn aus einem anderen Grund mitgenommen haben könnte?«
Elsbeth Satorius’ erstaunter Miene nach zu urteilen, schien sie eine solche Möglichkeit bislang gar nicht in Erwägung gezogen zu haben. Sie dachte nach. »Ich weiß nur noch, dass an diesem Morgen eine unserer Ärztinnen ganz aufgelöst zu mir ins Büro gekommen ist. Sie wollte sofort mit Norbert sprechen.«
Mit neu erwecktem Interesse beugte sich der Kommissar vor. »Und?«, erkundigte er sich erwartungsvoll.
»Nichts und. Ich habe lediglich gehört, wie sie ihm Vorwürfe gemacht hat. Wobei hören zu viel gesagt ist.« Sie schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. »Schließlich war kein einziges Wort zu verstehen. Aber der Tonfall! Für mich stand außer Frage, dass sie miteinander stritten. Obwohl das auch nicht der richtige Ausdruck ist.«
Henning sah sie fragend an.
»Zum Streiten gehören immer zwei. Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass Norbert nur ein einziges Mal laut geworden wäre.«
»War das denn nicht ungewöhnlich?«
»Ach was.« Sie winkte ab. »Wird nichts Großartiges gewesen sein. Wahrscheinlich ein Streit unter Kollegen«, unterstrich sie ihre Ausführungen. »So was kam hin und wieder schon mal vor. Schließlich war Norbert nicht nur Oberarzt, sondern wegen seiner besonnenen Art auch ein begehrter Streitschlichter.«
Sie schien dem Vorfall keine Bedeutung beizumessen. Wahrscheinlich war er ihr nur in Erinnerung geblieben, weil es das letzte Mal war, dass sie Norbert lebend gesehen hatte. Trotzdem erkundigte sich Henning nach dem Namen der Ärztin.
»Daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Wir kannten uns nur vom Sehen, sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen.«
»Sagten Sie nicht, es habe sich um eine Kollegin gehandelt?«, wunderte sich Henning.
»Schon, nur kam sie nicht von unserer Station.«
»Sondern?«
Elsbeth Satorius dachte angestrengt nach. »Ich glaube, sie hat auf der Inneren gearbeitet.«
»Wissen Sie, wie der Streit ausgegangen ist?«, wollte Henning wissen.
»Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Norbert wird sie schon irgendwie zur Besinnung gebracht haben. Ist ihm schließlich noch bei jedem gelungen. Allerdings waren die beiden noch in seinem Büro, als ich in die Mittagspause gegangen bin. Und als ich wiederkam«, hörte er sie mit brüchiger Stimme sagen, »war Norbert tot.«
Henning, der sich die ganze Zeit über Notizen gemacht hatte, bat Elsbeth sich mit ihm in Verbindung zu setzen, falls ihr der Name der Ärztin wieder einfallen sollte. »Für mich ist jeder Hinweis wichtig.« Er schob ihr seine Visitenkarte über den Tisch. »Sie können mich jederzeit anrufen.«
Elsbeth Satorius nickte. In dem von draußen hereinfallenden Tageslicht sah sie plötzlich viel älter aus, als sie in Wahrheit sein mochte. Unter der Make-up-Schicht zeichnete sich das Bild einer alten, gebrochenen und vom Leben enttäuschten Frau ab.
»Haben Sie eigentlich auch Doktor Dierks gekannt?«, wechselte der Kommissar das Thema.
»Kennen ist zu viel gesagt. Er ist damals gerade erst zu uns an die Klinik gewechselt.«
»Was für ein Typ Mann war er denn?«
Sie schien zu überlegen. »Schwer zu sagen. Auf alle Fälle sah er sehr gut aus.«
»Ein gut aussehender Arzt, so, so. Der hat doch bestimmt der einen oder anderen gefallen. Liebeleien, Affären, das kennt man doch …«
»Tut mir leid, ich habe mich nie um Klatsch gekümmert, dazu war ich viel zu sehr damit beschäftigt, mein Verhältnis zu Norbert geheim zu halten. Schade eigentlich. Sonst könnte ich Ihnen womöglich mehr sagen.« Sie zuckte entschuldigend die Achseln.
»Gibt es jemanden, der darüber Bescheid wissen könnte?«
»Haben Sie sich schon unter seinen ehemaligen Kollegen umgehört?«
Henning schüttelte den Kopf. »Das hat Ihre Nachfolgerin erfolgreich zu verhindern gewusst. Die hat mich nicht mal zu ihrem Chef vorgelassen.«
»Zu Doktor Mühlbauer? Schätze mal, der wäre Ihnen auch keine große Hilfe gewesen«, versuchte sie zu trösten.
»Und weshalb nicht?«
»Weil die beiden erst nach seinem – also nach Norberts Tod eingestellt worden sind.«
»Fällt Ihnen sonst noch irgendetwas ein?«, kam Henning erneut auf Doktor Dierks zu sprechen. »Ich meine, er wird doch sicher Freunde gehabt haben.«
Sie hielt kurz inne. »Versuchen sie Ihr Glück mal bei Doktor Tannert. Ich habe
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