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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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sie ein paarmal gemeinsam in der Kantine essen sehen.«
    »Wissen Sie zufällig, wo Doktor Dierks gearbeitet hat, bevor er zur Stadtwaldklinik wechselte?«, erkundigte sich Henning, während er den Namen des Arztes notierte.
    »Leider nicht. Aber ich könnte mich ja mal umhören«, schlug sie vor. Zwinkernd fügte sie hinzu: »Ich habe noch immer gut funktionierende Kontakte zu einigen früheren Kolleginnen.«
    »Das wäre nett«, bedankte sich Henning für ihre Bereitschaft. Er winkte dem Kellner.

11
     
     
    Kaum hatte sich die gläserne Schiebetür hinter Henning geschlossen, nahm ihm die eisige Kälte für einen Moment lang die Luft. Ein Blick auf die Uhr ließ ihn erstaunt feststellen, wie schnell die Zeit bei seinem Gespräch mit Elsbeth Satorius vergangen war. Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen. In der hereinbrechenden Dämmerung spiegelten sich die Lichter des gegenüberliegenden Drogeriemarktes auf dem von Schneeregen feuchten Asphalt. Für einen Besuch bei Doktor Tannert war es inzwischen zu spät. Um nicht bald zu frieren anzufangen, reihte sich Henning in den Strom der vorbeihastenden Passanten ein.
    Als er sich nach einer Weile ziellosen Umherirrens vor dem hellerleuchteten Vogtlandtheater wiederfand, war es bereits viertel sieben.
    Wenn er den nächsten Zug nicht verpassen wollte, war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Trotz des Eisbechers quälte ihn ein leichtes Hungergefühl, das sich bei dem Gedanken an die Reste ihres gestrigen Abendessens in Leonas Kühlschrank noch verstärkte. Obwohl sein Speisezettel meist nicht allzu üppig ausfiel, war Henning im Grunde seines Herzens ein Genussmensch. Daran konnten auch seine erhöhten Cholesterinwerte nichts ändern.
    Als er den Bahnsteig betrat, fuhr gerade die aus Adorf kommende Vogtlandbahn ein. Henning stieg ein und erreichte Netzschkau kurz nach 19 Uhr.
    Leona erwartete ihn bereits. Sie wirkte erschöpft.
    »Geschafft?«, fragte Henning.
    Ihr Nicken wurde von einem tiefen Seufzer begleitet. »Das kannst du laut sagen. Bei mir lag heut ein knapp dreijähriges Kind auf dem Tisch.«
    Sie schluckte, als würde ihr ein Kloß in der Kehle stecken. »Ein kleiner Junge – hat fast zwei Jahre in einer Gefriertruhe gelegen, bevor er bei mir gelandet ist.«
    Als Leona ihren Stuhl zurückschob und aufstand, erkundigte sie sich bei Henning, ob er sich noch an den Fall Müller erinnern könne. »Er ging damals durch sämtliche Medien.«
    Sie schenkte sich an der Anrichte einen Kognak ein. »Auch einen?«
    Henning lehnte ab. Leona trank das Glas in einem Zug aus.
    »Das musste sein!« Sie ließ sich zurück auf ihren Stuhl fallen und sah mit großen, leeren Augen in die hereinbrechende Nacht hinaus.
    Henning wollte sich lieber nicht fragen, was diese Augen schon alles zu sehen bekommen hatten. Dafür hatte er bereits zu vielen Obduktionen beigewohnt. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen wusste er, dass der Anblick einer Kinderleiche selbst die hartgesottensten Rechtsmediziner nicht kaltließ. In seine Gedanken hinein hörte er Leona sagen, dass es sich bei den Müllers um ein in Plauen ansässiges Rechtsanwaltsehepaar handelte. »Sie sind vor etwas mehr als zwei Jahren in die Schlagzeilen geraten, nachdem ihr damals knapp dreijähriger Sohn im Urlaub an der Côte d’Azur spurlos verschwunden ist. Der Fall scheint umso mysteriöser, da sich die Eltern die ganze Zeit in einem Restaurant unweit ihrer Apartments aufhielten.«
    »Erinnert mich irgendwie an den Fall Maddy«, warf Henning ein.
    »Stimmt«, bestätigte Leona. »Es hieß, das Ehepaar habe sich alle halbe Stunde darin abgewechselt, nach ihrem schlafenden Sohn zu sehen.«
    Kurz nach 21 Uhr wurde sein Verschwinden von der Mutter festgestellt. »Der Polizei war das Verhalten der Eltern damals sonderbar erschienen: Die Müllers gingen schon wenige Tage nach dem Verschwinden ihres Sohnes wieder Joggen, als ob nichts gewesen wäre. Sie haben sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, haben sogar mit der Zeitung gesprochen. Trotzdem ist ihr Sohn verschwunden geblieben. Daran hätte sich wohl nichts geändert, wenn die Müllers nicht vor circa drei Wochen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen wären.«
    Henning sah Leona fragend an.
    »Die Leiche des Kindes wurde gestern Abend im Keller des Einfamilienhauses der Müllers gefunden. Ein enger Verwandter hat sie entdeckt; er war mit der Nachlassregelung beauftragt worden. Sicher kannst du dir vorstellen, was für ein Schock das für den Mann gewesen

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