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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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wieder vom Rumpeln eines Räum- und Streufahrzeugs unterbrochen. Doch die Ruhe war trügerisch. Wer konnte, tat an diesem Morgen gut daran, sein Auto stehen zu lassen.
    Als Henning kurz nach sieben aufstand, war Leona schon aus dem Haus. Auf dem Frühstückstisch hatte sie für ihn einen Fahrplan hinterlassen. Er kannte Leona mittlerweile gut genug, um zu wissen, warum sie so handelte. Die Vorstellung, dass sie sich um ihn sorgte, zauberte ein verklärtes Lächeln auf sein Gesicht. Er sah auf die Küchenuhr. Es war drei viertel acht. Laut Fahrplan ging der nächste Zug nach Plauen um acht Uhr fünfzig. Wenn er sich mit dem Frühstück beeilte, konnte er ihn noch erreichen.
     
    In Plauen führte ihn sein Weg in die nur wenige Gehminuten vom oberen Bahnhof entfernte Stadtwaldklinik.
    Der Krankenhauskomplex lag inmitten des verschneiten Stadtparks und bestand aus einem lang gezogenen Haupthaus mit hufeisenförmig angeordneten Nebengebäuden.
    Henning bestieg nach einem Blick auf die Orientierungstafel den Lift, um sich in die Gynäkologie in der dritten Etage bringen zu lassen.
    Dort erkundigte er sich bei einer Krankenschwester nach dem Sekretariat. Der Wegbeschreibung folgend fand Henning sich wenig später am Ende eines von kaltem Winterlicht durchfluteten Korridors wieder. Sein Klopfen wurde mit einem knappen »Herein« beantwortet. Wie sich herausstellte, gehörte die Stimme Doktor Heribert Mühlbauers Sekretärin. Sie war eine große, hagere Frau mit verkniffenen Zügen, die Henning mit ihrem streng geschnittenen Bob an einen Feldwebel erinnerte. Als sie sich mit undurchdringlicher Miene nach seinem Anliegen erkundigte, wurde dem Kommissar schnell klar, dass man bei ihr nicht mit belangloser Konversation punkten konnte. Zudem machte ihr Auftreten deutlich, dass er sich nicht in der Lage befand, Forderungen zu stellen. Also kam er besser gleich zur Sache. Wie sich zeigte, hatte der Feldwebel seine Stellung erst nach dem Tod von Doktor Fibinger, Elenas Vater, angetreten. Das Einzige, was Henning in diesem Zusammenhang in Erfahrung bringen konnte, war der Nachname ihrer Vorgängerin.
     
    In der Hoffnung, Frau Satorius über die Auskunft ausfindig machen zu können, zückte er sein Handy. Seine Anfrage ergab drei Einträge. Henning versuchte es zunächst bei dem auf Elsbeth Satorius zugelassenen Anschluss. Er hatte Glück: Wie sich herausstellte, war sie tatsächlich die Gesuchte. Nachdem er sein Anliegen geschildert hatte, erklärte sie sich bereit, sich mit ihm in einer halben Stunde bei ›Pieschels‹ in den Kolonnaden zu treffen.
    Das von ihr vorgeschlagene Eiscafé befand sich im Eingangsbereich des Einkaufszentrums in der Bahnhofstraße. Henning überlegte, ob er die Straßenbahn bis zum Tunnel nehmen oder die Strecke zu Fuß zurücklegen sollte. Nach einem Blick in den klaren Himmel entschied er sich für letztere Möglichkeit.
    Bei seinem Eintreffen wurde er bereits von Elsbeth Satorius erwartet. Sie trug ein dunkelgrünes Wollkostüm, das in reizvollem Kontrast zu ihrem von der Kälte geröteten Gesicht stand. Obwohl sie die 60 vor einer ganzen Weile überschritten hatte, war sie noch immer eine gut aussehende Frau mit dunklen, tief liegenden Augen, einem breiten geraden Mund und einem energischen Kinn.
    Henning kam direkt auf sein Anliegen zu sprechen.
    Im Laufe seiner Erzählungen begann sich auf Elsbeth Satorius’ Zügen eine Mischung aus Unglaube und Bestürzung breitzumachen. Ihre zunehmende Betroffenheit veranlasste Henning zu der Frage, in welchem Verhältnis sie zu ihrem damaligen Vorgesetzten und dessen Familie gestanden habe.
    »Er war ein toller Chef: nie ungerecht, nie launenhaft, hatte immer ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter. Ich kenne niemanden, der ihn nicht verehrt hätte«, fügte sie mit einem wehmütigen Lächeln hinzu. »Natürlich habe ich auch seine Familie gekannt. Kurz nachdem ich meine Stellung bei ihm angetreten habe, kam Elena auf die Welt. Sie war sein ganzer Stolz.«
    Henning fiel auf, dass sie eine angenehm weiche Stimme besaß. Bevor sie sich in der Erinnerung an jene Zeit in weiter Ferne verlieren konnte, näherte sich der Kellner ihrem Tisch.
    Während sie sich die von ihm servierten Eisbecher schmecken ließen, versuchte Henning Elsbeth Satorius in ein ungezwungenes Gespräch zu verwickeln. Sie gab ihm auf all seine Fragen bereitwillig Auskunft, dennoch konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihm etwas verschwieg. Sie wirkte angespannt. So, als ob sie

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