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Treibgut

Treibgut

Titel: Treibgut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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Gesicht.
    Henning vermutete, dass ihr Interesse nicht nur dem Anwesen galt. Gleichzeitig verriet ihm ihr Blick, dass er sie besser nicht darauf ansprach.
    Als sie sich eine halbe Stunde später auf den Weg machten, bot sich ihnen ein beeindruckendes Bild. Die Kälte hatte die Landschaft in eine weiß glitzernde Winterpracht verwandelt. Es war so blendend hell, dass Henning während der Fahrt immer wieder die Augen zusammenkneifen musste.
    Nach einem kurzen Zwischenstopp an der Göltzschtalbrücke fuhren sie an der Burg Mylau vorbei, die auf einem Bergsporn thronte, entlang des Göltzschtals in Richtung Lengenfeld. Knappe zehn Minuten später passierten sie den Ortseingang von Auerbach.
    Sie parkten in der Nähe der Nicolaikirche. Nur wenige Meter von der Innenstadt entfernt, die an diesem Sonnabendvormittag wie ausgestorben wirkte. Als sie der Hunger zu quälen begann, steuerten sie die am Altmarkt gelegene Gaststätte ›Zum Kerkermeister‹ an. Das Gebäude diente in früheren Jahrhunderten als Gerichtshaus und Kerker, woher es seinen Namen hat. Sie ließen sich Rouladen und Grüne Klöße schmecken und setzten anschließend ihre Erkundungstour mit einem Abstecher in die Berthold-Brecht-Straße fort.
    »Hier hab ich gewohnt«, sagte Henning, als sie vor einem Wohngebäude im Villenstil angelangt waren. Als er die mit Ornamenten verzierte Fassade betrachtete, stand ihm plötzlich wieder jener Tag vor Augen, an dem er die Nachricht vom Tod seines Freundes Rüdiger Paulus erhalten hatte. Ein Anruf hatte ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass er bei einer Schießerei am Leipziger Hauptbahnhof ums Leben gekommen war. Zusammen mit seiner in diese Zeit fallenden Pensionierung hatte ihn der Tod seines Freundes jeglichen Halt verlieren und zur Flasche greifen lassen.
    Als der Krebs das Leben seiner Frau gefordert hat, stand Henning schon einmal kurz davor, diesen Weg einzuschlagen. Damals hatte ihn lediglich die Flucht in die Arbeit davor bewahren können, es so weit kommen zu lassen. Nach Rüdigers Tod hingegen gab es nichts mehr, was ihn hätte auffangen können. Als Henning daran dachte, wie alt und nutzlos er sich zu jener Zeit gefühlt hatte, ergriff ihn ein eisiges Frösteln. Wer weiß, was ohne die Aussicht auf einen Neubeginn aus ihm geworden wäre.
    Nachdem ihn Leonas Räuspern aus seinen trübseligen Erinnerungen gerissen hatte, machte er sie auf ein Gebäude aufmerksam, das in knapp hundert Metern Entfernung lag. »Siehst du das hellblau gestrichene Haus? Dort befindet sich das Polizeirevier. Ich habe jedoch keine Lust auf eine Stippvisite. Lass mich dir lieber etwas von der Stadt zeigen.« Er deutete auf drei Türme, die weithin sichtbar die Silhouette des knapp 20.000 Einwohner zählenden Ortes prägten. »Sie sind das Wahrzeichen von Auerbach.«
    Durch die Fußgängerzone, die mit ihren hübschen, kleinen Geschäften zum gemütlichen Bummel durch die Innenstadt einlud, gingen sie zum Auto zurück und fuhren nach Falkenstein. Aufgrund des herrlichen Wetters war schon ein Großteil der Parkplätze nahe der Staumauer belegt. Dementsprechendes Gedränge herrschte auf dem Rundweg, der um die Talsperre führte. Das Wochenendgrundstück befand sich unweit eines ehemals als Ferienheim genutzten Gebäudes. Obwohl Leona bei seinem Anblick nicht das Geringste anzumerken war, nahm sich Henning vor, die Sache im Auge zu behalten.

15
     
     
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Langsam begriff sie, dass es ihre eigene Stimme gewesen war. Sie hatte Leas Namen gerufen. Immer und immer wieder. Seit Wochen verfolgte sie dieser Traum, sah sie Leas Gesicht vor sich. So, wie sie es in Erinnerung hatte: An jenem stürmischen Wintertag, der ihr Leben für immer verändern sollte. Auch wenn es nur ein Traum gewesen war, nahm sie seine immer wiederkehrende Botschaft ernst. Darum bemüht, seine Bedeutung zu entschlüsseln, rief sie sich die Bilder jenes schicksalhaften Dezembertages erneut ins Gedächtnis. Sie standen ihr so deutlich vor Augen, dass sie die stechende Kälte des Eisregens auf ihrer Haut zu spüren glaubte. Dazu das Tosen des Sturms im Ohr sah sie sich am Rand der Klippen stehen. Vor ihr, über der sturmgepeitschten See, trieben bleigraue Wolken. Die in diffuses Dämmerlicht getauchte Szenerie wirkte gespenstisch. Genauso unreal wie die von Nebelschwaden verhüllte Gestalt in ihren Träumen. War jenes schattenhafte Wesen nur ein Produkt ihrer überreizten Fantasie, oder war da wirklich jemand gewesen? Jemand, der seine Tat

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