Treibgut
erneut. Diesmal war es Doktor Tannert. »Mir ist noch was eingefallen«, führte er als Grund für die späte Störung an. Er hatte einen Streit zwischen Danko Dierks und einem ihm unbekannten Mann beobachtet. »Die zwei haben sich einen heftigen Schlagabtausch auf dem Krankenhausparkplatz geliefert. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Auto. Damals hab ich der Angelegenheit nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. Doch nachdem Sie heut bei mir war’n, ist es mir wieder eingefallen und ich wollte Sie davon unterrichten.«
»Was auch gut so war«, beeilte sich Henning, ihm zu versichern. »Schade, dass Sie den Mann nicht gekannt haben. Das hätte uns womöglich weiterbringen können.«
»Vielleicht hilft es Ihnen ja, wenn ich Ihnen sag, dass er mich wegen seines auffälligen Schnauzers an Jean Pütz erinnert hat.«
»Jean Pütz? Ist das nicht der Ex-Moderator der Hobbythek?«
»Genau der! Jedenfalls sah der Mann wie eine ungefähr 20 Jahre jüngere Ausgabe von ihm aus. Sogar die Brille kam hin, wenn ich mich recht entsinn.«
Der Kommissar bedankte sich für den Hinweis. »Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, lassen Sie es mich bitte wissen.«
14
In der folgenden Nacht lag Henning lange Zeit wach. Während sich seine Gedanken, die um die bislang eingegangenen Hinweise kreisten, an der dämmrigen Grenze des Schlafes bewegten, ging die Finsternis allmählich in die frühe Schwärze eines neuen Tages über. Erst als das Telefon klingelte, wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich geschlafen hatte. Martina Funke war am Apparat, um ihm die versprochene Anschrift durchzugeben. Henning legte auf und sein Blick fiel auf die Uhr. Es war kurz nach acht. Noch ganz verschlafen stand er auf und trottete ins Badezimmer. Nachdem es ihm mit der doppelten Menge seiner üblichen Kaffeedosis gelungen war, die Müdigkeit aus seinen Gliedern zu vertreiben, beschloss er Astrid Schulz aufzusuchen. Sie wohnte in der Plauener Innenstadt.
Unter der angegebenen Adresse sah sich Henning einem älteren Mehrfamilienhaus gegenüber, das zwischen Lutherkirche und Vogtlandbibliothek lag und in dessen Erdgeschoss sich ein Obstladen befand.
Seine Nachfrage ergab, dass Astrid Schulz vor längerer Zeit ausgezogen war. Von den Nachbarn schien niemand etwas über ihren Verbleib zu wissen. Als er sich beim Einwohnermeldeamt erkundigte, erlebte er die nächste böse Überraschung. Sie war noch immer in der Neundorfer Straße registriert. Was im Klartext nichts anderes bedeutete, als dass sie sich nach ihrem Auszug in Luft aufgelöst zu haben schien. Dafür musste es einen triftigen Grund gegeben haben. Laut Hennings Aufzeichnungen war Rufus Kirchner am 11. Januar verunglückt. Kaum zwei Wochen später hatte Astrid Schulz ihre Stellung gekündigt. Den Aussagen der Hausbewohner zufolge war sie etwa im selben Zeitraum ausgezogen. Selbst wenn es sich als völlig belanglos herausstellen sollte, irritierte Henning dieses zeitliche Aufeinandertreffen. Um einen Zusammenhang ausschließen zu können, würde er ihren derzeitigen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen müssen. Er unterdrückte einen unschönen Fluch. Wie es aussah, war er wieder einmal auf Peers Hilfe angewiesen. Nachdem er ihn telefonisch von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt und sich seiner Unterstützung versichert hatte, fuhr er zurück, um sich für den Theaterbesuch am Abend in Schale zu werfen.
Nach der nasskalten Witterung der letzten Tage kam es Henning wie eine Wohltat vor, am nächsten Morgen von Sonnenstrahlen geweckt zu werden. Nichts hielt ihn mehr im Bett. Beim Verlassen des Bades wehte ihm der Duft von frischem Kaffee und gebratenen Eiern mit Speck entgegen. Als er die Küche betrat, war Leona gerade dabei, den Tisch einzudecken. Henning ging ihr zur Hand und lauschte den Radionachrichten im Hintergrund. Laut Wetterbericht versprach das vor ihnen liegende Wochenende trocken und heiter zu werden.
»Traumhaft«, meinte Leona angesichts des strahlend blauen Himmels, der sich ihr beim Blick aus dem Fenster auf die im Tal liegende Göltzschtalbrücke bot. »Was hältst du von einem Ausflug? Wir könnten nach Auerbach fahren. Wie ich dich kenne, brennst du darauf, zu sehen, was sich dort in der Zwischenzeit alles verändert hat. Anschließend würde ich gerne noch an der Falkensteiner Talsperre vorbeischauen. Einer meiner Kollegen besitzt dort ein Wochenendgrundstück. Das wollte ich mir schon längst mal ansehen.« Eine verräterische Röte überzog ihr
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