Treibgut
genau geplant hatte, der genau wusste, wann und wo er sie allein antreffen konnte. Schon der bloße Gedanke daran ließ sie erschauern. Wer außer ihr und Danko konnte wissen, wo sie sich zum Zeitpunkt des Unglücks aufgehalten hatte? So angestrengt sie auch darüber nachdachte, es wollte ihr niemand einfallen. Und dennoch musste es jemanden gegeben haben, der über jeden ihrer Schritte Bescheid gewusst hatte. War sie zu arglos gewesen? Sie hätte diese Frage nur allzu gern verneint. Doch ein letzter Zweifel blieb, verstärkte ihre Schuldgefühle und setzte sich wie ein giftiger Stachel in ihr fest. Selbst wenn es gelang, Lea ausfindig zu machen, würde sie es sich nie verzeihen können, ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt zu haben. Danko fiel ihr ein. Sie musste daran denken, wie er versucht hatte, sie zu trösten. Gleichzeitig fragte sie sich, was er unternommen hätte, um Lea zurückzubekommen. Vielleicht hätte aus ihnen ja doch noch eine richtige Familie werden können. Wenn, ja, wenn …
Es war sinnlos, darüber nachzudenken. Genauso töricht, wie sich jetzt noch zu fragen, was Danko in den wenigen Monaten ihrer Ehe dazu veranlasst haben mochte, sich des Nachts wie ein Dieb aus dem Haus zu stehlen. Auch wenn sie nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er als Mann für sie uninteressant war, verspürte sie bei dem Gedanken, dass seine nächtlichen Ausflüge einer anderen Frau gegolten haben könnten, eine leise Eifersucht in sich aufsteigen.
16
Als Henning Mitte der kommenden Woche nach Dresden fuhr, um sich mit Rainer Saalmann, Danko Dierks ehemaligem Vorgesetzten zu treffen, schien der Winter sein kurzes Gastspiel endgültig beendet zu haben. Es war deutlich wärmer geworden. Die Regenfälle der vergangenen Tage hatten einen Großteil des Schnees zum Schmelzen gebracht und die Wiesen und Felder in schmutzig graue Fleckenteppiche verwandelt.
Es war kurz nach zehn, als Henning auf den Parkplatz des Krankenhauses in Dresden Friedrichstadt einbog. Er hatte noch eine knappe halbe Stunde Zeit. Zum Glück hatte ihn die Chefarztsekretärin zwischen zwei Terminen einschieben können. Auch wenn es dafür einiges an Überredungskunst bedurft hatte.
Nachdem er sich zu Doktor Saalmanns Büro durchgefragt hatte, sah er sich einem schmächtigen Mann von Ende 50 gegenüber. Obwohl er im ersten Moment ein wenig farblos wirkte, zeugte sein überraschend fester Händedruck von Entschlusskraft.
Während seine Sekretärin ihnen Kaffee einschenkte, deutete er auf eine seinem Schreibtisch gegenüberstehende Ledercouch: »Bitte nehmen Sie doch Platz. Was kann ich für Sie tun?«
Nach einer kurzen Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse, kam Henning auf Danko Dierks zu sprechen. Was er dabei in Erfahrung brachte, schien sich mit Elenas und Doktor Tannerts Erzählungen zu decken. Nur half ihm das nicht weiter. Als hätte er seine Gedanken erraten, bedachte ihn der Chefarzt mit einem entschuldigenden Lächeln. »Tut mir leid. Aber mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen.« Er erhob sich, um Henning zur Tür zu geleiten.
Beim Verlassen der Station kamen Henning zwei Ärzte entgegen. Obwohl er sie nur eines flüchtigen Blickes würdigte, glaubte er, einen von ihnen schon einmal gesehen zu haben. Nur wo?
Einer plötzlichen Eingebung folgend kehrte Henning um und eilte ihnen hinterher. Kurz bevor er sie eingeholt hatte, öffnete der Ältere der beiden eine vom Gang abzweigende Türe und verschwand hindurch. Ehe sein Kollege es ihm gleichtun konnte, stellte sich Henning ihm in den Weg. »Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie einfach so anspreche. Mein Name ist Lüders. Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«
Der Arzt musterte ihn kühl und abschätzig. »Worum geht es denn?«
»Um Danko Dierks«, erwiderte Henning, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Der düsteren Miene des Arztes nach zu urteilen, schien ihm der Name etwas zu sagen. Also hatte Henning sein Gefühl nicht getrogen, als er in ihm den von Doktor Tannert beschriebenen Mann zu erkennen glaubte. Sein auffällig nach oben gezwirbelter Oberlippenbart glich tatsächlich dem von Jean Pütz. Hätte ihn das Namensschild an seinem Kittel nicht als Doktor Kleinschmitt ausgewiesen, hätte man ihn durchaus für eine jüngere Ausgabe des bekannten Moderators halten können.
»Ich wüsste nicht, was es zu reden geben sollte«, riss ihn der Arzt aus seinen Überlegungen. »Soviel ich weiß …«, bevor er weitersprechen konnte, meldete sich sein Piepser. »Tut
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