Treibhaus der Träume
alter Mann … Augen zu, Ohren zu, Mund zu … Schwamm drüber. Wir haben da von einem Fall aus Stuttgart gehört. Dort hat ein berühmter Internist eine attraktive Patientin nach der Herzuntersuchung geküßt. Es gab ein großes Lamento, und was blieb? Nichts. Am Medizinerstammtisch wurde gelacht und gefrotzelt. Ein neuer Wirtinnenvers kam auf: Frau Wirtin hat 'nen Professor – der legte an die Brust sein Ohr – und weil es so schön tuckerte … und so weiter! Der alte, flotte Herr praktiziert heute noch, hoch geehrt.«
»Ich weiß.« Lorentzen stieß mit Dr. Thorlacht an. »Ex, Kollege. Auf eine gute Zusammenarbeit.«
»Sie … Sie behalten mich hier, Chef?« stotterte der junge Arzt.
»Glauben Sie, ich lasse begabten Nachwuchs bei den alten Knackern versauern? Ich habe Sie gestern beobachtet, als Sie assistierten, Sie haben geschickte Hände.«
Dr. Thorlacht bekam wäßrige Augen. »Ich danke Ihnen, Chef.«
»Keine Show, mein Bester!« Lorentzen klopfte dem jungen Arzt auf die Schulter. »Sie werden wenig Zeit für Rührung haben. Sie bauen die Poliklinik auf. Ganz allein. Ich werde nur ab und zu zugucken. Und wenn es sich machen läßt, kommt auch noch die große plastische Chirurgie ins Haus. Einen Fall habe ich schon. Es gibt in Deutschland viel zuwenig Kliniken, die sich um das Aussehen des Menschen kümmern. Dabei kann ein zufriedener Blick in den Spiegel eine größere Therapie sein als Hunderte Pillenschachteln. Ist es nicht typisch, daß wir in Deutschland an keiner Universität einen Lehrstuhl für kosmetische Chirurgie haben? Ja, daß die kosmetische Chirurgie heute noch als eine Abart chirurgischer Spielerei betrachtet wird. Die Friseure unter den Chirurgen, soll ein Ordinarius gesagt haben. Das muß einmal anders werden. Dafür sorgt eine neue Generation von Ärzten. Aus euren Reihen kommen die neuen Klinikchefs, und ihr sollt es besser machen als die Alten. Ich weiß noch so klar wie heute, was Heberach sagte, als wir einen neuen Assistenten bekamen. Er hatte in Tokio studiert. ›Ach‹, sagte Heberach von oben herab. ›Tokio? Wissen Sie denn, was ein Tupfer ist?‹ Und dabei gelten die japanischen Ärzte heute mit als die besten der Welt.« Lorentzen goß noch einen Kognak ein. »Kommen Sie, Thorlacht, trinken wir noch einen. Ich muß das große Kotzen hinunterspülen.«
An einem Freitag, eine Woche nach der Aussprache zwischen Lorentzen und Bornemann, kam Bornemann schon in der Frühe ins Sprechzimmer. Er war wie zum Ausgang angekleidet. Lorentzen sah gerade die Post durch.
»Bist du verrückt?« fuhr er Bornemann an. »Du sollst doch dein Zimmer nicht verlassen. Auch mit Pflaster bist du nicht so unkenntlich, daß man dich nicht erkennen könnte.«
»Ich habe es mir überlegt«, sagte Bornemann. »Du sollst das Geld haben. Laß uns nach München fahren und die Koffer von der Gepäckaufbewahrung abholen.«
Lorentzen schüttelte den Kopf. »Es ist erledigt, Hans. Ich brauche das Geld nicht mehr.« Er stockte und senkte den Kopf. »Ich habe einen anderen Weg gefunden.«
»Es gab doch keinen.«
»Doch. Ich habe ein Mädchen und mich selbst verraten. Wie lange das gutgeht, ich weiß es nicht. Aber die Klinik läuft, die Patienten sind glücklich – das ist die Hauptsache.«
»Du bist ein Besessener, Lutz!«
»Vielleicht. Es muß auch solche geben, die man Idealisten nennt und die in Wirklichkeit ganz arme Schweine sind.«
»Trotzdem. Ich möchte das Geld abholen. Kommst du mit?«
»Ich soll dir helfen, deinen Raub abzuholen?«
»Ich brauche deinen Wagen, Lutz.« Bornemann setzte sich wartend auf die Sessellehne. »Mein Angebot gilt noch immer. 200.000 Mark für ein neues Gesicht. Mit 200.000 Mark kannst du dir ein schönes Leben machen.«
Lorentzen zögerte. Aber dann sagte er zu. Es ist besser, das Geld ist ebenso sicher hier im Haus wie Hans Bornemann. Einmal wird sich auch dieser Fall klären. Dann ist nichts verloren.
»Wann willst du nach München?« fragte er.
»Am besten sofort. Dann sind wir am Nachmittag wieder zu Hause.«
Dr. Lorentzen stimmte zu. Er teilte den Tagesdienst ein. Zum erstenmal übergab er Dr. Thorlacht eine selbständige Operation. Eine Ohrenoperation. Der junge Arzt glänzte vor Glück. Dann machte er noch schnell seine Visite, zog sich um und holte den neuen Wagen aus der Garage. Er war erst zehn Tage alt. Ein Mittelklassewagen, weiß mit roten Polstern.
Ein reiner Zufall war es, daß an diesem Morgen der Reporter Horst Rappel in einem Café an der
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