Treibhaus der Träume
einem brennenden Durst, und trank Wasser. Beim fünften Mal schwankte sie wie eine Betrunkene, hielt sich an der Wand fest und konnte sich nur mühsam zum Waschbecken tasten. Dann lag sie wieder im Bett, regungslos, wie gelähmt. Ihr Körper schien zu braten, das Blut kochte in den Adern.
Was ist das, dachte sie erschrocken. Sie tastete nach der Nase. Es war der einzige Körperteil, den sie nicht spürte, der kalt schien, eine Eisinsel inmitten von Vulkanen. Haben sie etwas falsch gemacht? Wirken die Medikamente so nach?
Bis zum Morgen lag sie wach, abwechselnd wie im Feuer liegend und dann von Kälte geschüttelt. Sie klapperte mit den Zähnen und keuchte dann, wenn die Hitzewelle sie überspülte, sie schwitzte und zitterte doch vor Frost. Gegen Morgen schlief sie ein.
Schwester Frieda, die vor dem Morgenkaffee ins Zimmer sah, ließ sie schlafen und weckte sie nicht. Der Bluterguß hatte die Augenpartien anschwellen lassen, sonst war nichts zu sehen. Doch ja, die Lippen waren etwas blau, aber das hat man oft bei sensiblen Kranken nach der Operation.
Gegen 9 Uhr schellte es Alarm im Ärztezimmer. Dr. Thorlacht ging ans Telefon und ließ fast den Hörer fallen, als er die kaum verständliche Meldung Schwester Friedas hörte.
»Das ist doch nicht möglich …«, stotterte er. »Das kann doch nicht sein! Eine Sepsis? Woher denn? Der Chef ist ein Musterbeispiel von sterilem Operieren.«
Fünf Minuten später lag Gertrud Alberts auf dem OP-Tisch. Sie hatte bereits das Bewußtsein verloren, aber der ganze Körper zuckte im Delirium. Die Fiebermessung ergab 41,5.
»Das ist eine Katastrophe!« sagte Dr. Thorlacht erschüttert. »Und ausgerechnet heute ist der Chef nicht da. Das ist alles unerklärbar. Wie kommt die Septikämie in den Körper?«
Wer konnte diese Frage beantworten? Betreten standen die beiden anderen Assistenten und die Schwestern um die im Fieber glühende Frau. Etwas wie eine Lähmung war über sie gekommen. Hier schien bevorzustehen, was einem kosmetischen Chirurgen nie passieren durfte: Ein Patient starb …
Der einzige, der den Kopf behielt, war Dr. Thorlacht. Der Allgemeinzustand Frau Alberts' war so schlecht, daß nicht mehr lange nach Ursachen geforscht werden konnte.
»Starrt keine Löcher in die Luft, verdammt!« schrie er. »Schwester Emilie … Bluttransfusion! Und einen Dauertropf her! Zehn Millionen I.E. Penicillin intravenös! Cardiazol!«
Während die anderen Transfusionen und Infusion machten, entschloß sich Thorlacht zu einer Verzweiflungstat. Er zerstörte die neue, schöne Nase Gertrud Alberts'. Er räumte das ganze Operationsfeld aus, um den Sepsisherd zu finden, er nahm keine Rücksicht mehr auf Schönheit … er schnitt die Nase auch von oben auf und schuf eine große Wunde, er zerstörte alles, was einmal der Mittelpunkt eines Gesichts gewesen war. Ein großes Loch schnitt er in das Gesicht, das den Rachenraum und die Nebenhöhlen freilegte, eine nasenlose, nicht mehr menschliche Fratze entstand unter seinen Händen. Erst das Leben retten. Das Leben ist wichtiger als Schönheit. Später konnte man dann wieder aufbauen … Deckung der riesigen Wunde, eine neue Nase, Narbenkorrekturen … Jetzt galt es nur, das nackte Leben zu retten.
Der verzweifelte Kampf war vergeblich. Noch während der Bluttransfusion, während der Tropf mit der starken Penicillinlösung an die Vene angeschlossen und Kreislaufmittel injiziert wurden, begann das Herz Gertrud Alberts' zu flattern, der Puls wurde weich, Blässe zog über ihr nun völlig zerstörtes Gesicht.
»Aus«, sagte Dr. Thorlacht dumpf und legte die Instrumente weg. »Wir haben verloren.«
Er breitete ein steriles Tuch über das schreckliche Gesicht Gertrud Alberts' und warf seine blutigen Gummihandschuhe in den Plastikeimer neben dem OP-Tisch.
Die beiden anderen Ärzte und die Schwestern standen stumm um die Tote. In ihren Augen lag die Frage nach dem Rätsel.
»Wissen Sie, wohin der Chef ist?« fragte Dr. Thorlacht die Oberschwester Emilie.
»Nach München.«
»München ist groß.«
»Als ob er mir sagt, wohin er überall geht …«
»Und wann kommt er zurück?«
»Er wollte mittags wieder hier sein.«
Dr. Thorlacht wischte mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. »Völliges Stillschweigen«, sagte er dumpf. »Niemand im Hause darf von dem Unglück erfahren. Bis der Chef kommt, geht alles weiter wie bisher. Wo können wir die Tote hinbringen?«
»Keller III ist eine Art Kühlkeller.« Schwester Emilies Stimme
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