Treibhaus der Träume
Riesenhänden ein paar Zentimeter von der Erde aufgehoben, flog durch das Zimmer und krachte mit zwei Stühlen gegen die Wand. Dort sank sie zusammen, ihre linke Gesichtshälfte schwoll dick an, Blut tropfte ihr aus der Nase und von einem Riß in der Unterlippe. Zwischen den Stühlen und der Wand blieb sie hocken, mit hochgezogenen Schultern, die Haare wie ein Visier über ihrem brennenden Gesicht.
»Das saß«, sagte der alte Patz zufrieden. »Da ist noch die Kraft vom Steinetragen drin. Ich hätte es viel früher tun sollen.«
»Jetzt war es zu spät …« Die Stimme Ilses war kalt. »Das ist nicht wieder gutzumachen.«
»Wer redet von wiedergutmachen? Ich denke nicht daran.« Der alte Patz reckte sich. »Ich hätte Lust, dich weiter durchzuprügeln.« Er machte zwei Schritte auf Ilse zu, faßte sie am Arm und riß sie hoch. »Bin ich dein Vater, he? Antwort! Bin ich dein Vater? Sieh mich an, du Mondkalb! Richtig! Sieh mich an, du dummes Luder! Ich bin dein Vater, und solange ich lebe, bei Gott, haue ich dir eins hinter die Ohren, wenn du dich weiter so benimmst wie jetzt!«
»Danke.« Ilse schüttelte den Griff ihres Vaters ab, warf mit einem Kopfruck die Haare zurück, tupfte mit einem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht und fühlte dabei, wie schief sie aussehen mußte. »Du wirst nicht mehr in den Genuß kommen. Wir sehen uns nicht wieder.«
»Willst du auswandern?«
»Ich werde vergessen, daß ich einen Vater habe.«
Sie riß die Tür auf, bevor der alte Patz erneut losbrüllen konnte, und trat hinaus auf den Flur des Hotels. Dort war ein großer Spiegel. Mit verschleierten Augen sah sich Ilse an. Die linke Wange glühte. Deutlich sah man den Abdruck von fünf dicken Fingern. Dann sah sie durch den Spiegel ihren Vater in der Tür und schob die Unterlippe vor.
Ich habe recht, die Männer zu hassen, dachte sie. Sie sind ein Pack. Und deshalb wird auch Dr. Lorentzen zugrunde gehen. Wie kann er wagen, mich mit meiner Liebe allein zu lassen …
Ohne sich zu ihrem Vater umzuwenden, verließ Ilse Patz das Kur-Hotel. Dem alten Patz aber kam in diesem Augenblick eine glänzende Idee. Er rief bei Dr. Lorentzen an.
»Sagen Sie, Doktor, haben Sie noch ein Bett frei?« fragte er. Die Stimme Lorentzens war klanglos, als sie antwortete.
»Ja. Heute ist ein Bett frei geworden.«
»Wunderbar. Für mich reserviert. Ich komme zu Ihnen als Patient. Haben Sie noch nicht bemerkt, daß ich Segelohren habe? Die können Sie mir kleiner machen. Ich komme heute abend noch hinauf zu Ihnen.«
Wie ein Junge, der einen großen Streich vorbereitet, rieb sich der alte Patz die Hände und hüpfte in seinem Zimmer herum.
Er wußte nicht, daß Lorentzen an diesem Tag das Skalpell aus der Hand gelegt hatte und es nicht wieder aufnehmen wollte, bis der Todesfall und die Schuld daran einwandfrei geklärt waren.
Aus München trafen noch am Abend der I. Staatsanwalt, der Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts, Professor Ploch, und der Pathologe Professor Sahrein ein. Über die Autobahn Stuttgart-München raste ein dunkler Wagen durch die Dämmerung des Herbsttages. Ein bleicher, verstörter Mann saß hinter dem Steuer: Theo Alberts fuhr zu seiner toten Frau. Die drei Kinder hatte er zu seiner Schwägerin gebracht, sie ahnten noch nichts. Er selbst begriff das alles auch noch nicht. Sie wollte nur eine neue, gerade Nase haben. Eine Kleinigkeit, wie die Ärzte sagten. Und nun war sie tot. Er redete sich ein, daß alles nur ein fürchterlicher Irrtum sein mußte, eine Verwechslung der Namen. Er glaubte die Wahrheit einfach nicht. Und während er jetzt über die Autobahn raste, sagte er immer halblaut vor sich hin: »Es ist unmöglich. Du lebst, Gertrud. Du kannst gar nicht tot sein, Gertrud –«
In der Almfried-Klinik begrüßte Dr. Lorentzen die Herren aus München unten in der Eingangshalle. Prof. Sahrein gab ihm schlaff die Hand, kaum ein Händedruck. Dafür blitzten hinter der goldumrandeten Brille um so heller seine blauen Augen.
»Sie sind Lorentzen?« fragte er.
»Ja, Herr Professor.«
»Aha.«
In diesem Aha lag eine ganze Welt, die Sahrein von Lorentzen trennte. Lorentzen atmete tief auf. Der Geist Heberachs wehte nun durch die Klinik, nicht so offen feindlich, als sei er selbst zugegen, aber deshalb um so gefährlicher, weil er unangreifbar war.
Prof. Ploch vom Gerichtsmedizinischen Institut begrüßte Lorentzen herzlich, der I. Staatsanwalt etwas kühl, wie es üblich ist bei noch ungeklärten Fällen.
»Es ist
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