Treibhaus der Träume
dann soviel wert sind wie Papierschnitzel.«
Der Kopf Hans Bornemanns sank auf die Brust.
Er weinte.
Dr. Lorentzen wartete, bis sich Bornemann etwas beruhigt hatte. Er saß auf dem einzigen Stuhl in dem karg möblierten Zimmer und rauchte eine Zigarette. Für ihn bedeutete dieser Zusammenbruch seines früheren Freundes viel. Er hatte ihn aufgenommen, als er auf der Flucht war und einige Wochen untertauchen mußte. Er hatte damit gegen das Gesetz verstoßen, das war ihm klar. Aber wenn es ihm jetzt gelang, Bornemann zu bewegen, sich zu stellen, gab es vielleicht einen Richter, der nicht nur Paragraphen kannte, sondern auch einen Hauch von Menschlichkeit besaß.
»Du mußt operieren«, sagte Bornemann plötzlich.
Lorentzen fuhr hoch. »Es ist sinnlos, darüber zu reden.«
»Du wirst mich operieren!« Die Augen Bornemanns flackerten. »Soll ich wegen deines dummen Standesdünkels vor die Hunde gehen?«
»Eine Gesichtsveränderung an dir wäre unter diesen Umständen eine kriminelle Tat.« Dr. Lorentzen zerdrückte die Zigarette. »Hätte ich keine Ahnung von deinem Verbrechen, wärest du gekommen als normaler Patient, dem die Nase nicht gefällt … vielleicht hätte ich dich auf den Tisch gelegt. Aber jetzt nicht mehr.«
»Vergiß, was du weißt! Ich bin ein normaler Privatpatient.«
»Hans, du weißt doch selbst, welchen Unsinn du redest. Geh zur Polizei. Zieh einen Strich unter alles.«
»Habe ich dafür wie ein Einsiedler gelebt? Nein! Ich habe den Coup meines Lebens gemacht! Wem gelingt es schon, zwei Millionen mitzunehmen, so im Vorbeigehen, ganz ruhig, ohne Tresoreinbruch, ohne Rififi, ohne Mord. Einfach kassieren …«
Bornemann sprang vom Bett auf. In seiner Hand lag plötzlich eine Pistole. Ein kleines zierliches Ding, aber das Mündungsloch war groß genug, den Tod zu bringen. »Du operierst mich!«
»Laß den Quatsch, Hans«, sagte Lorentzen heiser.
»Das ist kein leeres Gewäsch mehr. Ich drücke ab.«
»Dafür bekommst du lebenslänglich.«
»Auch gut. Aber ich habe die Genugtuung, daß ich weiterlebe, ob frei oder hinter Gittern … doch du verfaulst. Ich habe nichts, gar nichts zu verlieren, du aber alles.« Bornemann schwieg und starrte Lorentzen aus flackernden, halb irren Augen an. »Na?« fragte er nach einer Weile lähmender Stille. »Willst du ein Held sein und dich für die Gerechtigkeit totschießen lassen? Oder operierst du?«
»Hier etwa?« Lorentzen sah in den Pistolenlauf. Er zeigte genau auf seine Stirn. Und er wußte plötzlich, daß Bornemann in der Verzweiflung abdrücken würde, daß er sich in einer Verfassung befand, in der das vernünftige Denken aufgehört hatte.
»Nein! Aber im Operationssaal. Da steht das Telefon. Ruf alle zusammen. Wie lange dauert es, bis alles operationsbereit ist.«
»Eine halbe Stunde.«
»Also … ruf an!« Bornemann zeigte mit der Pistole auf den Telefonapparat. Lorentzen stand auf und ging hinüber zu dem kleinen Tisch. Dabei durchfuhren ihn viele Gedanken – von der Möglichkeit, sich auf Bornemann zu stürzen und sich auf einen Kampf mit dem stämmigen und stärkeren Mann einzulassen, bis auf die sich gerade anbietende Chance, Bornemann zu narkotisieren und dann den selig Schlafenden der Polizei zu übergeben. Wenn er wieder aus der Narkose erwachte, lag er bereits auf der Pritsche im Gefängnis.
Aber auch Bornemann schien das zu denken. Er lächelte schwach, als Lorentzen den Hörer abhob.
»Die Operation wird gelingen«, sagte er heiser. »Ohne Komplikationen. Die Polizei wird keinen Narkotisierten einfach einladen können. Ich werde Vorsorgen, daß solche Kindereien nicht stattfinden. Also!«
Dr. Lorentzen rief Dr. Thorlacht an. Dieser war schon in seinem Zimmer, hatte sich umgezogen und wollte nach St. Hubert, einen guten Wein in der ›Weinklause‹ trinken.
»Wir haben noch eine Operation«, sagte Lorentzen mit ruhiger Stimme wie immer. »Tut mir leid, Thorlacht, Ihr Weinabend ist hin. Ja, ein dringender Fall, weil ein Termin dran hängt. Was? Eine Nase, Gesichtsstraffung, Augenbrauenverschmälerung, Ohrenverkleinerung. Ja, alles in einer Sitzung. Der Patient ist darüber unterrichtet, daß diese Großoperation bestimmte Gefahren mit sich bringt. Er wird einen Revers unterschreiben …«
»Nichts werde ich …«, zischte Bornemann. Sein zerfurchtes Gesicht war fahlweiß. Jetzt, wo es soweit war, bekam er Angst vor der Operation. Lorentzen winkte ab.
»Schwester Emilie soll assistieren, ja. Und suchen Sie in der Nasenbank
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