Treibhaus der Träume
alarmiert?«
»Ich wollte den großen Knüller schreiben. Ich wartete darauf, daß Sie Bornemanns Gesicht verändern. Und dann wollte ich, zusammen mit der heißen Story, den Laden hochgehen lassen.«
Dr. Lorentzen wurde es heiß. Erst jetzt erkannte er, in welcher Gefahr er geschwebt hatte. Was Rappel da gegen ihn ausbrüten wollte, hätte die Wirkung von hundert Heberach-Reden gehabt. Der Arzt Dr. Lorentzen hätte für immer aus der menschlichen Gemeinschaft verschwinden müssen.
»Und warum schlagen Sie jetzt nicht zu? Ihre Story ist perfekt.« Die Stimme Lorentzens war belegt.
Rappel schüttelte den Kopf. »Es sind zwei Dinge, Doktor, die mich hindern: Erstens ist uns Bornemann entwischt. Da ich alles wußte, habe ich mich mitschuldig gemacht. Ich habe die Anzeigepflicht versäumt. Und zweitens, das ist viel wichtiger: Ich werde gegen Sie keine Zeile schreiben. Ich habe gesehen, was Sie für Ihre Patienten bedeuten. Wenn ich schreibe, dann werde ich berichten von einem Arzt, der zu den Menschen gehört, die aussterben. Zu den großen Menschenfreunden, wie Albert Schweitzer einer war.«
»Ich bin ein ganz gewöhnlicher Arzt, Herr Rappel.« Dr. Lorentzen fühlte sich erleichtert.
»Das glauben Sie. Die Umwelt sieht Sie anders.«
»Viele meiner Kollegen nennen uns Schönheitschirurgen wegwerfend Damenschneider. Die Friseure unter den Medizinern.«
»Eben das soll anders werden. Ich werde über Sie eine große Artikelserie schreiben. Was wissen die meisten, was kosmetische Chirurgie ist? Ich wußte es ja selbst nicht.«
Dr. Lorentzen erhob sich. Er hatte für diesen Vormittag noch sechs Patienten bestellt. »Dann reisen Sie morgen ab, Herr Rappel?«
»Warum?« Horst Rappel sah den Arzt erstaunt an.
»Die Operation ist ja nicht mehr nötig. Bornemann ist weg. Es ist anerkennenswert, daß Sie sich für Ihren journalistischen Knüller sogar auf den OP-Tisch legen wollten.«
»Das will ich noch immer. Damit Sie sehen, Doktor, daß ich es jetzt ehrlich meine: Wann komme ich dran?«
»Morgen.«
»Einverstanden.« Horst Rappel gab Lorentzen die Hand. »Wir Journalisten sind nun mal eine lästige Bande.«
Während dieses Gespräch stattfand, rüstete sich Bornemann in seinem Felsenversteck zum Abstieg ins Tal. Er hatte noch einmal das Versteck seiner Millionen verschönt, wilden Enzian gepflanzt und alle Steinritzen mit Erde zugeschmiert. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß hinter dieser Geröllwand am Felsen zwei Koffer mit einem Vermögen lagen.
Die Nächte wurden schon sehr kalt und feucht. Der Winter kam. Bornemann wußte, daß nur jetzt die Zeit war, durchzubrechen in den Süden. Sobald der erste Schnee fiel, gab es nur den einen Weg: Zurück ins Tal und die Hände hoch. Eine Zelle war besser, als hier unter einem eisigen Himmel zu erfrieren und zu verhungern.
Am frühen Morgen, während die Nebel über den Bergwäldern hingen und der Boden vor Nässe quietschte, machte sich Bornemann an den Abstieg zur Grenze.
Er hatte alles gut vorbereitet. Er hatte sich rasiert, sah unauffällig aus wie ein früher Wanderer und hatte die Taschen voller Geldscheine. Nach dem Stand der Sonne legte er die ungefähre Richtung fest und verließ sein Felsenversteck. Er stieg über die Geröllfelder hinunter, bis er die Waldgrenze erreichte und suchte sich dann einen ziemlich steilen Weg, wo er annehmen konnte, daß ihm hier keine Menschen begegnen würden.
Es war eine mühselige Wanderung. Meistens rutschte er die Hänge hinunter oder ließ sich von Baum zu Baum gleiten, jeden neuen Stamm als Bremse für seine Talfahrt nehmend. Schon nach einer Viertelstunde war er außer Atem und fühlte sich elend.
Das kommt von den Tagen in der Höhle und dem wenigen Essen, dachte er. Man ist ohne Kraft. Er setzte sich hinter einen dicken Tannenstamm und holte ein paarmal tief Luft. Dann tastete er sich ab und fühlte die Geldscheine. Die Fahrkarten in eine schönere Welt.
Das machte ihn wieder munter. Er rannte weiter den Berg hinab, erreichte einen schmalen Weg, über den die Holzfäller mit kleinen kräftigen Gäulen die Stämme bis zur Talrutsche schleppen, und lief ihn entlang nach Süden.
Nebel umwallte ihn. Die Nässe durchzog seine Kleider. Er verlor den Begriff für Zeit und hatte genug damit zu tun, seine Lungen pfeifen zu hören und sein Herz an der Kehle zu spüren.
Eine Wiese. Ein langgestrecktes, niedriges Haus. Ein Dach aus Steinplatten, mit Moos bewachsen. Tupfen auf dem Grün des Grases. Schwarz-weiße
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