Treibhaus der Träume
alle schöner werden, die hier sind, dachte sie. Neununddreißig Frauen. Ihr Alltagsleben haben sie vorne an der Anmeldung mit abgegeben, es existiert nur noch in den Akten. Und in den Gesprächen am Tisch, am Abend im Fernsehraum, beim Spaziergang. Und dann ist es immer das gleiche: »Mein Mann hat gesagt … Mein Mann meint … Mein Mann ist der Ansicht … Mein Mann hat sich gedacht …«
Immer mein Mann. Immer Mann. Mann! Mann! Mann!
Der Mittelpunkt unserer Welt.
Und wie wenig haben sie es verdient –
Da sind sie alle gleich, die jetzt in den Kabinen 1 bis 10 auf den Spezialliegen ausruhen und sich von den jungen Kosmetikerinnen behandeln lassen.
Die Fabrikantengattinnen mit Sportwagen und Villa. Die Filmstars, die hier ohne Schminke und Frisur gar nicht mehr auffallen und deren Bilder mit Dankesworten in der Eingangshalle hängen. Die brave Bürgersfrau, die sich endlich einmal erholen kann, vom Haushalt, von den drei Kindern, vom Geschäft, das bis ins Schlafzimmer reicht, von den hundert Problemen des Alltags, und die doch auch vor dem Spiegel steht und die Fältchen zählt und Sehnsucht hat, glatt und jung auszusehen … weil Heinz und Fritz und Herbert und Ludwig es so gerne sehen, wenn ihre Frauen schön sind.
Alle sind sie Schwestern hier auf der Schönheitsfarm ›Almfried‹. Und alle tragen etwas Großes und Schweres in ihrem Herzen: Die Hoffnung, geliebt zu werden.
Denn was ist eine Frau ohne Liebe?
Erna Pfannenmacher schlief ein. Jemand massierte ihr die Beine, das merkte sie noch. Ein Prickeln zog durch ihren Körper, wie Sekt.
Es ist schrecklich, alt zu werden, dachte sie noch, wenn das Herz jung ist.
Und dann träumte sie von Ulrich, der sie in seine Arme nahm und küßte, wie vor siebenundzwanzig Jahren …
Über den Bahnsteig rannte eine junge Frau.
Blond, langbeinig, um den schlanken Körper einen Trenchcoat. In den Händen pendelten zwei helle, kleine Schweinslederkoffer, schlugen gegen die trippelnden Beine und behinderten sie beim Laufen.
Während sie rannte, hatte sie den Kopf weit in den Nacken geworfen, die blonden Haare flatterten um das schmale, erhitzte Gesicht, der rot geschminkte Mund war leicht geöffnet, ihr Atem flog.
»Einsteigen bitte! Türen schließen!«
Die Schaffner gingen die Wagenreihe entlang, warfen krachend die Türen zu und kontrollierten die Sicherheitshebel. Fenster wurden heruntergelassen, letzte Abschiedsworte wurden gewechselt. Ein Händedruck, ein Kuß. Gute Fahrt. Grüß Tante Minchen herzlich. Schreib sofort, wenn du angekommen bist. Zieh dich warm an, in den Bergen weht oft ein rauher Wind –
Die junge Frau rannte keuchend weiter. Schlafwagen … Schlafwagen … Liegewagen … 2. Klasse … 2. Klasse … Speisewagen … 1. Klasse.
Endlich!
Am Fenster seines Abteils stand Dr. Lutz Lorentzen und blickte zurück auf Hamburg. Ein bitterer, ein wehmütiger Abschied war es. Hier hatte einmal seine Heimat sein sollen, hier hatte er geglaubt, ein Leben in Glück und Erfolg verbringen zu können. Fast eineinhalb Jahrzehnte hatte es so ausgesehen, als habe ihn das Schicksal verwöhnt. Dann war alles zusammengebrochen, in einer einzigen Nacht, und nun verließ er Hamburg, einsam und ausgestoßen, wie ein Auswanderer, den es zu fremden Gestaden treibt, wo ihn niemand kennt, niemand fragt, niemand sich um ihn kümmert.
Von der Lokomotive her gellte ein scharfer heller Pfiff. Abfahrt!
Adieu, Hamburg. Vergangenheit, versinke in der Ferne. Lebt wohl, Erinnerungen. Wenn der Zug gleich die mächtige Bahnhofshalle verläßt, ist ein Abschnitt des Lebens vorbei.
Dr. Lorentzen wollte sich zurückbeugen und das Fenster hochschieben, als er die rennende, junge Frau sah. »Halt!« schien ihr in der Anstrengung des Laufens etwas verzerrter Mund zu rufen. »Halt! Nur ein paar Sekunden noch …«
Der Zug ruckte an, setzte sich langsam in Bewegung, die gelösten Bremsen knirschten.
Dr. Lorentzen warf noch einen Blick auf die junge Frau, dann stürzte er aus dem Abteil, riß die Waggontür auf und beugte sich hinaus.
»Zurücktreten!« schrie der Fahrdienstleiter mit der roten Mütze. »Halt! Nicht mehr einsteigen!«
Die junge Frau hatte das Trittbrett des Wagens erreicht. Sie sah den Mann an der Tür stehen, lächelte ihn verzerrt an und wagte dann den Sprung. Die Schweinslederkoffer wirbelten durch die Luft, ein Griff zur Haltestange, die Beine schleiften etwas nach, die Tür wollte vom Fahrtwind zuschlagen, aber Dr. Lorentzen drückte sie mit seinem Körper
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