Treibhaus der Träume
Schwester Hildegard vorbei. Die Eroberung Perus durch Pizarro war leichter als Dickis Vorstoß auf die geheimnisvolle Tür.
»Er hat geklingelt, eine Birne in der Lampe sei kaputt«, sagte er einmal. Oder: »Sein Wasserhahn tropft.« Oder: »Er kriegt den Liegestuhl nicht auseinander …«
Es half nichts. Schwester Hildegard lachte ihn aus. Auch bei den OP-Schwestern, den beiden Assistenzärzten und sogar bei Dr. Lorentzen selbst erfuhr er nichts, so geschickt er auch hintenherum fragte. Schließlich gab er es auf.
»Der Zufall wird's bringen«, sagte er resignierend.
Vom Garten aus sah man nur ein Sonnensegel auf dem großen Balkon von Zimmer 22. Ab und zu erkannte man eine Gestalt, die hin und her lief, trank oder sich das Hemd überzog, aber genau erkennen konnte man nichts.
Um so reichlicher wurde das Zimmer ausgestattet. Ein Fernsehgerät trug man hinein, eine Musiktruhe. Klassische Musik auf Schallplatten. Eine kleine Bibliothek. Alles trugen die Schwestern hinein, was Dicki beleidigte. »Das ist meine Aufgabe!« schimpfte er laut auf den Gängen. »Wozu bin ich eigentlich hier? Nur als Drecklappen, he?! Um Papier aufzusammeln? Ich bin zutiefst getroffen!«
Die genaue Untersuchung bei dem ›Grafen‹ hatte Dr. Lorentzen gezeigt, daß es eine langwierige Operation sein würde, ehe dieses Gesicht wiederhergestellt war. Unter der erbarmungslosen starken Untersuchungslampe zeigte sich erst das ganze Ausmaß der Zerstörung.
»Bis Weihnachten ist kurz«, sagte Lorentzen ehrlich. »Hier hat die reine kosmetische Operation erst sekundäre Bedeutung. Sie kann bereinigen was ich mit der Wiederherstellungschirurgie erreiche. Wir müssen große Hautstücke transplantieren. Für die Mittelwange brauche ich zur Deckung des Defekts sogar einen gestielten Hautlappen. Bis Sie wieder vernünftig aussehen, Graf … das kann zwei Jahre dauern.«
»Zwei Jahre?« v. Rethberg sprang auf. Seine eiskalten Augen starrten Lorentzen böse an. »Das nennen Sie chirurgisches Können?«
»Wenn Sie glauben, ein anderer Chirurg macht es schneller – bitte, sehen Sie sich um.« Dr. Lorentzen knipste die starke Lampe aus und trat zurück. Er ging zum Waschbecken und wusch sich die Hände. »Sie können von Ihrem Telefon aus nach Salzburg telefonieren. Ihr Fahrer ist in drei Stunden da.«
»Seien Sie nicht gleich beleidigt, Doktor.« v. Rethberg strich mit den Fingerspitzen über seine zerstörte Gesichtshälfte. »Der Schock war zu groß. Zwei Jahre. Das ist eine Unmenge Zeit.«
»Durch ein paar Spritzer aus einer zarten Mädchenhand.«
»Das ist das Makabre.« Der ›Graf‹ hob die Schultern. »Ich muß mich fügen. Also zwei Jahre. Und die Hochzeit im Dezember?«
»Werden Sie mitmachen können mit einem sehr narbigen Gesicht.«
»Aber besser als jetzt, Doktor?«
»Viel besser.«
»Ich habe Vertrauen zu Ihnen.« Der ›Graf‹ reichte Lorentzen die Hand hin. »Verzeihen Sie mir die Heftigkeit. Ich verspreche Ihnen Ihr bravster Patient zu sein …«
Von diesem Tage an wurde das Zimmer 22 mit dem großen Sonnenbalkon die ganze Welt des ›Grafen‹. Hier lag er in der Sonne, las oder träumte, hörte Wagner, Beethoven und Mozart, sah sich die Tagesschau im Fernsehen an, ging früh zu Bett oder schrieb lange Briefe an seine Tochter Renate, die Schwester Hildegard eigenhändig zur Post nach St. Hubert brachte.
»In drei Wochen beginnen wir mit der ersten Transplantation am Kinn«, hatte Dr. Lorentzen gesagt.
Der ›Graf‹ hatte viel Zeit, über sich und sein Leben nachzudenken.
In diesen Tagen richtete Lorentzen auch die abstehenden Segelohren von Generaldirektor Dr. Braubach.
Es war eine glatte und schnelle Operation, die er in Lokalanästhesie ausführte. »Ich will das miterleben«, sagte Dr. Braubach fest. »Es wird mir ein seelischer Triumph sein, wenn ich diese Anhängsel los bin.« Dann legte er sich auf den OP-Tisch, ließ sich das Gesicht abdecken und verhielt sich ruhig und still.
»Novocain und Suprarenin«, hörte er Lorentzen sagen. Dann spürte er einen kleinen Einstich am linken Ohr. Aber er zuckte nicht zusammen. Er fühlte, wie Betäubungsflüssigkeit hineingedrückt wurde … dann war auch schon alles Gefühl verschwunden bis auf das merkwürdige Gefühl, sein Ohr werde jetzt so dick wie ein Luftballon.
»Es geht los«, sagte Dr. Lorentzen. »Wenn Sie die geringsten Schmerzen spüren, sagen Sie es sofort.«
»Schnippeln Sie, Doktor.« Dr. Braubach war in einer fröhlichen Stimmung. »Wenn ich nachher
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