Treibhaus der Träume
hier von diesem Tisch aufstehe, werde ich alles Eselhafte verloren haben.«
Lorentzen durchtrennte zunächst die Haut auf der Rückseite des Ohres und legte den Knorpel frei. Der Assistent zog mit winzigen Haken die Wundränder auseinander. Nur wer die komplizierte Anatomie der Ohrmuschel kennt – und wie wenig wird die beachtet –, wer eine Ahnung hat, in welchem schönheitsgebundenen Zusammenhang Helix, Antitragus, Tragus, Anthelix, Concha und Darwinscher Knoten zueinander stehen, kann ermessen, was Dr. Lorentzen jetzt mit feinfühliger Hand gestaltete. Wie er aus einem Knorpelstreifen den bei abstehenden Ohren fehlenden äußeren Schenkel des Anthelix formte, wie von diesem neuen Anthelix aus die Ohrmuschel durch Herausnahme einiger Knorpelteilchen verkleinert wurde, wie feinste Drähte das nun zum Kopf zurückgeklappte Ohr in dieser neuen Richtung festhielten, wie er die schwache Blutung sofort mit einem elektrischen Koagulationsapparat zum Stillstand brachte und die feinen durchtrennten Äderchen gewissermaßen verlötete – das war eine elegante, gekonnte Operation, keineswegs sensationell, aber formend wie von einem Bildhauer.
»Ein Ohr ist fertig«, sagte Lorentzen nach einiger Zeit. »Das Ohr liegt genau da, wo es sein soll.«
»Kann ich es schon sehen?« Dr. Braubach unter seinem Abdecktuch war neugierig. »Ich habe nichts gespürt.«
Lorentzen lachte und schob das Tuch weg. Die OP-Schwester hielt ihm einen runden Handspiegel vor. Stumm sah Dr. Braubach auf sein anliegendes Ohr. Dann atmete er tief auf.
»Schön, Doktor.«
»Danke für die Lüge.« Lorentzen nahm ihm den Spiegel weg. »Es sieht noch sehr wüst aus. Morgen werden Sie herumlaufen wie ein armer Boxer; ein dicker Bluterguß kommt noch dazu. Aber wenn der sich verflüchtigt hat, werden Sie nichts mehr sehen. Sie werden einen ausgesprochen schmalen Kopf bekommen.«
»Machen Sie weiter, Doktor.« Dr. Braubach legte sich wieder hin. »Ich glaube Ihnen alles, wenn ich nur die Eselsohren verliere …«
Mit einem großen Kopfverband tappte eine Stunde später Dr. Braubach auf sein Zimmer und trank erst einmal drei doppelte Kognaks. Dann schrieb er an seine Frau.
»Liebe Elisabeth!
Meine Ohren sind von heute an normal. Warum hast du mir nie gesagt, wie unmöglich ich aussehe? Erst in Paris mußte ich es hören. Der Schock hätte mir bald das Leben gekostet. Um so größer ist das Wunder, daß du mich in all den Jahren geliebt hast, daß du an der Seite eines Mannes gegangen bist, der in den Augen der anderen Menschen lächerlich aussah. Ich danke Dir dafür … Du warst ein tapferes, ein mutiges Mädchen …«
Zehn Tage waren herum. Joan Bridge wurde ausgewickelt. Der ›Stapellauf‹ fand statt. Nicht nur Joan Bridge selbst, auch Dr. Lorentzen und die Assistenten waren gespannt, wie die neue, verkleinerte Brust aussehen würde.
»Ich habe solche Angst, Doc«, sagte sie geziert und blinzelte mit ihren Puppenaugen. »O Gott, es ist wie eine Geburt.«
»Nur gemütlicher«, sagte Lorentzen trocken. Er rollte selbst die Bandagen auf und ging wickelnd um Joan herum. Sie saß auf einem Stuhl vor einem großen Spiegel und starrte auf ihren noch mit Zellstoff belegten Oberkörper.
»Wenn sie nun schief ist?« sagte sie.
»Sie darf nicht schief sein.«
»Oder krumm?«
»Das gibt es nicht.« Lorentzen griff nach der Zellstofflage. »Und jetzt einen Tusch! Die neue Brust!«
Er zog den Zellstofflappen ab und trat zurück.
Einen Augenblick war es ganz still im Zimmer, dann klatschten Assistenten und Schwestern begeistert in die Hände.
Dem nichts verschweigenden Spiegel entgegen hob sich eine wunderschöne, kleine, feste, spitze Brust. Die Naht in der Falte war noch etwas rot, aber das würde bald vergehen. Die Rundnaht um den frei verpflanzten Warzenhof war nicht mehr sichtbar. Die Intracutannaht war gelungen.
»Phantastisch, Doc. Phantastisch«, flüsterte Joan Bridge. Sie strich mit den Handflächen über die neuen, kleinen Brüste und zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. »Sogar das Gefühl ist wieder da … Doc, o Doc …« Sie sah zu Lorentzen auf, und plötzlich schnellte sie hoch, warf sich ihm an den Hals und küßte ihn über das ganze Gesicht. »Ich bin so glücklich, Doc! So glücklich! Fühlen Sie doch, fassen Sie sie an … eine Brust wie ein junges Mädchen. Und ich bin doch schon Vierzig. Sie sind ein wundervoller Mann. O Doc, Doc …« Sie hing an seinem Hals und weinte wie ein Kind. Lorentzen trug sie zum
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