Treibhaus der Träume
Entgleisungen. Kunstfehler. Und dann wird eine Kommission kommen und den Laden schließen. Und in allen Zeitungen wird stehen: Wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde der Chefarzt Dr. Lutz Lorentzen verhaftet …
»Chefarzt!« sagte Heberach laut in Gedanken. Dr. Reimond zuckte zusammen.
»Wie bitte, Herr Professor?«
»Nichts.« Heberach sah auf. Sein Gesicht glühte. »Sie wissen keinen, Reimond?«
»Wir haben da einen Assistenzarzt, der hat einen unschönen Nasenhöcker. Dr. Thorlacht.«
Prof. Heberach drückte auf die Sprechanlage. Sie verband ihn mit allen Stationen. »Dr. Thorlacht zu mir!« rief er.
Das genügte. Wenn der Chef rief, kam sich ein junger Assistenzarzt wie ein Meisterläufer vor.
Staunend wartete Oberarzt Dr. Reimond auf das, was nun kommen würde. Etwas bleich kam Dr. Thorlacht ins Zimmer und zuckte unwillkürlich zusammen, als Heberach aufsprang, an ihn herantrat und ihm forschend ins Gesicht blickte.
»Ja«, sagte Heberach zufrieden. »Sie haben einen schönen Höcker auf der Nase. Stört Sie der nicht?«
»Nicht besonders, Herr Professor.« Der junge Arzt sah hilfesuchend zu seinem I. Oberarzt. Reimond zuckte schnell die Schultern.
»Aber mich stört er!« bellte Heberach. »Meine Ärzte sollen so aussehen, daß die Patienten nicht vor ihnen erschrecken. Vor Ihrem Höcker erschrecken sie. Ich würde selbst als armer kranker Mensch vor einer Nase zusammenfahren, die so aussieht. Wie kann ein Kranker genesen, wenn er sich dauernd vor Ihrer Nase erschreckt? Wissen Sie nicht: Wichtiger Faktor der Heilung ist die Psyche.«
»Natürlich, Herr Professor.« Der junge Arzt begann zu schwitzen. »Aber …«
»Der Höcker muß weg! Sofort! Sie fahren auf dem schnellsten Wege nach St. Hubert, in die kosmetische Klinik ›Almfried‹. Keine Widerrede! Die Operation bezahle ich. Das ist mir die seelische Ruhe meiner Patienten wert.« Heberach sah den jungen Arzt mit schiefem Kopf an. »Dr. Thorlacht. Auf Station VI geht der Arzt weg nach Düsseldorf. Die Stelle wird vakant. Sie hätten doch Interesse, nicht wahr?«
»Herr Professor!« Der junge Arzt schluckte. So nahe liegen Himmel und Hölle beieinander.
»Kommen Sie heute abend zu mir. Jawohl, zu mir nach Hause. Guten Tag!«
Wie hypnotisiert verließ Dr. Thorlacht das Chefzimmer.
Stationsarzt von VI. Weg mit dem Nasenhöcker. Zu Heberach privat nach Hause.
Noch niemand ist damit ausgezeichnet worden. Die wenigsten wußten, wo Heberach überhaupt wohnte.
Am nächsten Morgen stieg Dr. Thorlacht in den D-Zug nach Frankfurt. In der Jackentasche trug er alles genau notiert.
Umsteigen in München.
Dann Bummelzug nach St. Hubert.
Von St. Hubert mit dem Bus zur Almfried-Klinik.
Auftrag: Genauer Bericht über die Klinik. Eingehende Kontrolle der Nasenoperation. Beobachtung der anderen Patienten. Ausfragen der Unzufriedenen, die es in jeder Klinik gibt. Herbeiführen von Komplikationen nach der eigenen Operation.
»Sie werden mich nicht enttäuschen, junger Freund«, hatte Prof. Heberach gesagt. Und sie hatten sogar Wein miteinander getrunken. Dann kam der Männereid mit Handschlag: Völliges Stillschweigen.
Dr. Thorlacht fühlte sich unbehaglich. In der Almfried-Klinik war er schon telefonisch angemeldet.
Als Sohn einer Brauereifamilie.
Thomas Weber.
Prof. Heberach hatte den Namen ersonnen. Und er hatte sich dabei gefreut wie ein kleiner, böser Zwerg im Märchen.
Mit dem D-Zug 9 Uhr 23 ab Hamburg fuhr das Unheil Dr. Lorentzen entgegen.
Der erste ›Entlassungstag‹ war gekommen.
In der ›Almfried-Klinik‹ handhabte man es anders als in den anderen kosmetischen Kliniken. Im allgemeinen kommen und gehen dort die Patienten, sobald sie als ›geheilt‹ angesehen werden; ein großer Teil kann sogar ambulant behandelt werden und kommt nur zu dem Schönheitschirurgen in die Sprechstunde, um zu zeigen, daß die Narben bestens heilen und die Ohren wirklich anliegen.
Dr. Lorentzen hatte da eine neue Idee verwirklicht. Korrektur der launischen Natur zusammen mit Erholung. Nicht nur eine Nase sollte operiert werden, sondern auch die Seele sollte ausruhen. Das Herz sollte sich füllen mit Lebensfreude. Ein Mensch, der jahrelang die Bedrückung in sich hineingefressen hatte, häßlich zu sein, anders als andere Menschen, ein Außenseiter, brauchte nach dem Glück, ein normales Gesicht bekommen zu haben, auch ein paar Tage oder gar Wochen, um seine Seele zu entlüften. Wie richtig diese Ansicht war, sah Lorentzen bei der bisher so
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