Treibhaus der Träume
hast dich ihm einfach an den Hals geworfen. Schamlos, ohne Gewissen …«
»Ich habe mich ins Bett gelegt.« Ilse beleckte ihre Fingerkuppen und strich damit über ihre schönen, geschwungenen Augenbrauen.
»Und hast ihn hineingezogen!«
»Er schlief drei Zimmer weiter, allein.«
»Du lügst! Du lügst infam!«
»Frag ihn doch selbst.«
»Du weißt genau, daß das unmöglich ist.«
»Dann mußt du es glauben.« Ilse Patz zog das Turnhemd über ihrer Brust glatt. Sie hatte sich umgezogen zur Gymnastik. Draußen auf der Wiese warteten fünfzehn Frauen in engen Trikots.
»Es ist unmöglich, daß ein Mann mit dir eine Nacht allein ist und dann nicht den Kopf verliert!« schrie Marianne. »Wir brauchen uns doch nichts vorzumachen, Ilse!«
»Mein Gott, es ist so.« Ilse hob beide Arme. »Dein Lutz hat die Anlagen zu einem Heiligen. Jeder Mann wäre in der Situation, die ich ihm beschert habe, zum stammelnden Idioten geworden. Er aber gibt mir seinen Schlafanzug und zieht ab.«
»Schämst du dich nicht?« fragte Marianne leise.
»Nein. Warum?« Ilse Patz nahm ihr Tamburin vom Tisch. »Liebe ist etwas Notwendiges wie Essen und Trinken. Die einen essen wenig, die anderen viel. Die einen kommen mit einem Süppchen aus, die anderen brauchen ein Stück Braten. Ist der, der Braten ißt, schlechter als der, der sein Süppchen löffelt?«
»Du bist schamlos, Ilse.« Marianne hielt sie an der Trikothose fest, als sie hinauslaufen wollte. »Ist es wahr, daß nichts geschehen ist?«
»Ja, du Schaf, ja! Und ich hätte ihn dafür ohrfeigen können. So etwas ist mir noch nie passiert.«
Sie riß sich los und lief hinaus auf die Wiese. Der Klang ihres Tamburins scheuchte die schwatzenden Frauen auf.
»Aufstellen. In Doppelreihe! Und zu mir kommen … in leichtem Dauerlauf. Federn, meine Damen! In den Beinen federn. Bilden Sie sich ein, Sie schwebten …«
Auf einem Balkon der kosmetischen Klinik hob Direktor Dr. Max Zechbauer, der Mann mit der gewaltigen Fettschürze, die in drei Tagen wegoperiert werden sollte, ein Fernglas an die Augen.
Die Rotblonde da. Dieses Figürchen. Wie das hüpft und wippt. Die schlanken Beinchen. Und das Popöchen. Kreuzdonnerwetter!
Max Zechbauer ahnte nicht, daß er sein Herz an die Filmschauspielerin Mia Holden verloren hatte. Er verfolgte sie mit dem Fernglas und bekam einen trockenen Gaumen, als sie Rumpfbeugen machte und sich das enge Trikot über ihr Hinterteil spannte.
Marianne Steegert übernahm kurz darauf die zweite Gruppe.
Lymphdrainage stand auf dem Stundenplan. Ein Wort, das voller Geheimnisse ist. Dabei ist es eine leichte, ganz zarte Massage des Gesichts, vorbereitet durch den Ozonbesprüher. Sie soll die Lymphdrüsen anregen, Aufbaustoffe in die Haut hineinführen und schlechte, verbrauchte Stoffe wegschwemmen. Der dänische Biologe Dr. Vodder hatte diese Massageart entwickelt.
Zimmer 4: Behandlung mit dem ›Nemectron‹. Ein kleiner Apparat, der elektrische Stöße austeilt und die Muskulatur straffen soll.
Raum 5: Peeling. Raum 1: Leinsamenmaske. Raum 2: Körperpackung mit einer geheimnisvollen Emulsion und Apfelessig.
Die Badekabinen 1 bis 4 waren belegt mit Buttermilchbädern.
In Kabine 10 Ganzmassage nach Einreibung mit Franzbranntwein. – Kabine 8: Gesichtspackung mit Lebertranpaste.
In der Diätküche warteten die Köchinnen auf den Plan für die nächste Woche.
Im Labor lag ein Abstrich einer Frau Hammer bereit. Sie hatte Pickel, die immer wiederkamen trotz Peeling und Ozonbesprühung. Der dermatologische Assistent kam nicht weiter mit diesem Problem.
Marianne blieb in dem langen, weißen Gang der Kellerräume stehen und strich sich die blonden Haare aus der Stirn.
Wozu arbeiten wir alle wie die Lastesel, dachte sie. Zum erstenmal kam ihr dieser bittere Gedanke. Der Vater war reich genug, um auch seiner Tochter ein sorgloses Leben zu ermöglichen. Als Ilse und sie die Schönheitsfarm aufbauten, hatten sie es im jugendlichen Unternehmerdrang getan. Aus Freude am Risiko, aus Lust, selbst Geld zu verdienen und nicht nur immer die Hand aufzuhalten. Und aus Begeisterung für ihren schönen Beruf, Frauen noch jünger und schöner zu machen, als es mit Make-ups, Cremes oder Puder möglich war.
Das alles bekam jetzt ein anderes Gesicht, seit Dr. Lorentzen in St. Hubert war. Der Mann, an den Marianne dachte, wenn sie die Hautdiagnosen der neuen Patienten vornahm oder die individuellen Stundenpläne aufstellte, nach denen sich jeder auf der Schönheitsfarm richten
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