Treibhaus der Träume
niedergedrückten Lehrerin Erna Mittelhardt, der ›Eule‹, wie man ihr auf dem Schulhof nachgerufen hatte. Verschüchtert, mit dem Leben entzweit, war sie gekommen, ein hübsches Gesicht entstellt durch dicke, hängende Tränensäcke … nun lag sie auf dem Balkon im Schatten eines großen Sonnenschirms, die operierten Augenpartien durch eine breite Sonnenbrille besonders geschützt. Sie wartete auf das Abklingen der nach solchen Operationen häufig auftretenden Blutergüsse, und es waren Tage, in denen sich aller Groll verflüchtigte und neue Lebensfreude in sie hineinfloß.
»Nicht allein das Messer heilt«, hatte Lorentzen einmal in Hamburg zu den jungen Ärzten der Universitätsklinik gesagt. »Ein Lächeln, ein Händedruck, ein Streicheln, ein paar nette Worte, das Gefühl, geborgen zu sein … eben die psychische Behandlung eines Patienten ist ebenso wichtig.« Damals hatte Prof. Heberach über seinen Schwiegersohn still gelächelt. Der Phantast, dachte er. In der Charité wurde operiert und nicht Händchen gehalten, und keiner hat sich je beschwert. Der alte Sauerbruch hätte ihn ganz schön zusammengestaucht. Aber diese Jungen! Diese neumodischen Seelenkitzler! Die gute, alte reale Medizin verwässert immer mehr. Schon heilt man Leute auf der Couch durch bloßes Einreden.
Es klaffte eine Kluft zwischen Heberach und Lorentzen, die typisch war. Überall riß in diesen Jahren ein Gegensatz auf zwischen der alten, auf unbedingtes Führerprinzip aufgebauten deutschen Schulmedizin mit dem Gott Ordinarius als Mittelpunkt und den jungen, aufgeschlossenen Ärzten, die Teamarbeit bevorzugen, die Meinungen diskutieren, denen der Kranke ein Mensch ist und nicht bloß ein Fall.
Dr. Lorentzen hatte sein Idee der ›Ganzheitsheilung‹ in der ›Almfried-Klinik‹ verwirklicht. Und er sah mit tiefer Freude, wie die Kranken nicht nur durch das Messer, sondern auch von innen her gesundeten.
So kam es, daß ›Entlassungstage‹ eingeführt wurden. Tage, an denen alle, die laufen konnten, in der Halle standen und die Patienten verabschiedeten, die hinaus in ein glückliches Leben gingen.
Heute gehörten Joan Bridge, die kleine Lehrerin Erna Mittelhardt und Generaldirektor Dr. Braubach dazu. Adam Czschisczinski lief in seiner weißen Uniform herum und verteilte von einem silbernen Tablett den Abschiedstrunk: Sekt mit Orangensaft.
Man sage nicht, Dr. Lorentzen sei geschäftstüchtig und ein guter Regisseur, der ein bißchen Theater gut anzubringen versteht – nein, sie alle, die hier in der ›Almfried-Klinik‹ lagen, fühlten sich wie eine große Familie. Und wenn aus einer Familie jemand Abschied nimmt und wegfährt, weit weg, in das neue Leben hinein, dann ist das ein großer Tag.
Joan Bridge war nicht zu bremsen. In einem engen Pullover ging sie herum und erwartete, daß jeder sie auf die neue Brust ansprach. Sie schwenkte die Hüften so, daß Dr. Zechbauer, dem man zehn Pfund Fettschürze abgenommen hatte und der noch ein zweites Mal erleichtert werden sollte, laut genug sagte: »Den Hintern sollte man auch beschneiden.«
Alfredo, der Italiener, war tatsächlich gekommen, um seine Joan abzuholen. Er wohnte in St. Hubert, fuhr einen schweren Sportwagen, den Joan ihm gekauft hatte, und hatte das gelangweilte Gesicht eines Mannes, der nicht weiß, wozu er auf der Welt ist.
Er fiel überall auf durch seine braune Haut, seine schwarzen Locken und seinen federnden Gang. Als Lorentzen ihn das erstemal sah, bedauerte er, Joan die schönen vollen Brüste verkleinert zu haben.
»Sehen Sie sich diesen mickrigen Gigolo an«, sagte er zu seinem ersten Assistenten. »Für solch einen Mann legt sich eine Frau unters Messer. Es ist eine Schande. Man sollte Joan wie ein unartiges Kind durchhauen.«
»Auch das hätte keinen Sinn, Chef.« Der Assistent verzog den Mund, als er unten im Garten Alfredo die Hüften Joans tätscheln sah. »Frauen mit dem Minigehirn einer Joan Bridge brauchen solche Männer. Sie wissen doch, Frauen können auf zwei Ebenen denken: Einmal mit dem Kopf, einmal mit dem Unterleib. Joan gehört zu den ›Tiefdenkern‹.«
»Mein Süßer ist begeistert!« sagte Joan kurz vor dem Abschied. Sie war aus dem nahen Wald gekommen und sah sehr zerzaust aus. In ihren gebleichten weißblonden Haaren hingen Tannennadeln und Humusbröckchen. Lorentzen zupfte sie wortlos aus den geringelten Locken. Aber das machte Joan nicht verlegen. Sie warf die Arme um Lorentzens Hals. »Doc, Sie sind ein Mann zum Verlieben!« rief
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