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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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auseinandergezwungen hatten, drehte er sich noch weiter zu ihm und senkte sein rechtes Knie langsam zwischen Danowskis Beine. Er hatte ein breites Bein, einen schweren Oberschenkel und ein gewissermaßen industrielles Knie. Danowski rauschte das Blut in den Ohren, während der andere mit dem Knie seine Hoden quetschte, zielstrebig, aber nicht hastig, geduldig und gründlich. Der Schmerz füllt ihn aus wie Luft einen Ballon: Ohne ihn wäre er nur noch eine leere Hülle gewesen, ihm schien, als gebe der Schmerz ihm Sinn und Gestalt, als bestimme der Schmerz seinen Ort und seinen Zweck in der Welt, er war der Schmerz, und dass dazwischen ein funzliges «Lass es aufhören, lass es aufhören» über eine Art verblasstes Schriftband lief, war im Grunde nur noch ein Nachgedanke: Während der andere sein Knie auf Danowskis Hoden rieb, hatte Danowski auf der Welt keine andere Daseinsberechtigung mehr als die, sich seine Hoden quetschen zu lassen. Er war kein Mann mehr, kein Polizist, kein Freund und Kollege, kein Sohn, er war kein Vater mehr, er war nur noch Hoden.
    Dass sie aufgehört hatten, merkte er erst, als er auf dem Boden lag und den krümeligen blau-grünen Teppich unter seiner Zunge spürte. Er hörte, wie ihre Windjacken beim Aufstehen raschelnd aneinanderrieben, und dann, wie sie etwas bespuckten.

33 . Kapitel
    Manchmal hatte Leslie zwei Gedanken zur gleichen Zeit. Eine Zeitlang konnte sie beide parallel verfolgen, aber früher oder später musste sie sich entscheiden, worauf sie sich konzentrieren wollte. Während sie sich der Innenstadt näherte, die Schule und den Tag im Rücken, dachte sie an das regelverdeutlichende Gespräch, das sie bis vor einer halben Stunde geführt hatte. Ein Mädchen aus der dritten Klasse, das in der Pause Steine auf Kinder aus der vierten geworfen hatte. Ein schwieriger Fall, weil Leslie ahnte, dass die Kinder die Schülerin gepiesackt hatten, und zwar, wie sie die Kinder kannte, bis weit über die Grenze des Erträglichen hinaus. Aber das war nicht zu beweisen, die Steinewerferin schwieg, und Leslie konnte nur mit dem arbeiten, was sie hatte.
    Während sie in Gedanken durchging, was sie zu dem Mädchen gesagt hatte und wie das Mädchen nicht darauf geantwortet hatte, dachte sie darüber nach, ob sie zum Schiff fahren sollte. Seitdem Adam dort in Quarantäne war, fuhr sie mit einer Sporttasche durch die Gegend, in der ein paar Wechselsachen für ihn waren, Bücher, Zahnbürste, ein Ladegerät fürs Handy und Bilder, die Stella und Martha für ihn gemalt hatten. Er hatte ihr am Telefon gesagt, dass man sie nicht an Bord lassen würde und dass sie ihm nichts schicken durfte. Außerdem hatte sie keinerlei Verlangen, sich dem Schiff zu nähern oder es auch nur zu sehen. Sie hatte sich selbst und den Kindern erklärt, dass es nichts Besonderes und vor allem nichts Schlimmes war, wenn ein Vater mal ein, zwei Wochen auf Dienstreise ging. Andere machten das ständig. Und seine Dienstreise war eben zufällig nur bis kurz hinter die Hafenkante gegangen. Sie wollte auch für sich selbst gern an dieser Version festhalten, war sich aber nicht sicher, ob es für Adams und ihren eigenen Seelenfrieden besser war, wenn sie die Zeit einfach absaßen, das Beste hofften und jeden Anflug von Drama vermieden, oder ob es gerade umgekehrt besser war, am Cruise Center Terminal eine Szene zu machen und zu verlangen, man möge ihren Mann von Bord lassen oder ihm wenigstens diese Tasche hier aushändigen.
    Bisher hatte sie gedacht, die zweite Option, Szene, Drama, Löwin, entspräche eher ihrem Naturell, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Also beschloss sie, nicht mehr daran zu denken, sondern sich beim Fahren auf die Disziplinprobleme an ihrer Horner Grundschule zu konzentrieren. Sie würde schon merken, ob sie sich Richtung Hafen einordnete oder nicht.
     
    Die weißen Isolations- und Behandlungscontainer fielen neben dem Gebäude des Cruise Center Terminals in der Hafencity auf den ersten Blick gar nicht auf, weil auch die Fassade des Gebäudes gestaltet war, als bestünde sie aus blauen und grünen Containern. Eine Reminiszenz an den Containerhafen auf der anderen Elbseite, die Leslie makaber fand, als ihr klarwurde, dass die weißen Container dazu dienten, alle weiteren Erkrankten so gut wie möglich zu behandeln und zu isolieren. Medizinisches Personal stand in kleinen Gruppen auf dem Parkplatz, als wartete es darauf, endlich loslegen zu können. Die Bundespolizisten an der Einfahrt scharrten

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