Treibland
mit den Füßen im Splitt, als hätten sie sich im Laufe der letzten Tage alles erzählt. Sie parkte in Sichtweite, illegal, halb auf dem Gehweg. Unmöglich, ein Auto in der Hafencity irgendwo sinnvoll abzustellen. Die Polizisten hoben die Köpfe.
«Sie können da nicht parken!», rief einer ihr zu. Sie ging zum Kofferraum ihres alten Golf Memphis und holte Adams selten benutzte Sporttasche heraus.
«Offenbar doch!», rief sie zurück. Wenn sie sie wegschickten, auch gut, dann hatte sie es wenigstens versucht.
Der uniformierte Polizist schüttelte leicht den Kopf mit dieser Resignation, die sie von Adam kannte: Warum müssen alle immer dumme und falsche Sachen machen, und wir müssen uns dann darum kümmern, obwohl sie es doch selber wissen müssten? Leslie machte sich bereit, ihr eigenes regelverdeutlichendes Gespräch aufgedrückt zu bekommen, als sie hinter dem Bundespolizisten einen in Zivil sah, den sie aus Adams Erzählungen und vom einen oder anderen Sommerfest im Stadtpark kannte. Er kam an den Bauzaun aus Metall, mit dem das Cruise Center Terminal provisorisch abgesperrt war. Dabei nickte er dem Uniformierten im Vorbeigehen zu und winkte ab: Lass mal, ich kümmer mich um die Kleine. Die Kleine zerbrach sich währenddessen den Kopf: Schmeling? Elbing? Behling? Nils? Jens? Knud? Duzen oder siezen?
Behling hatte die Zaunöffnung erreicht und maß sie von Kopf bis Fuß mit geübtem oder zumindest oft benutztem Blick.
«Leslie», beantwortete er zumindest ihre letzte Frage. «Was machen Sie denn hier?» Ah, das Hamburger Du. Effektiv, um Menschen distanzlos und abweisend zugleich zu behandeln.
«Ich wollte mal nach Adam schauen», sagte sie.
«Wird kaum gehen», sagte Behling von oben.
«Manchmal gibt’s ja Ausnahmen», sagte Leslie. «Eigentlich immer, soweit ich das überblicke.»
Behling schüttelte den Kopf. «Bei dieser Sache nicht.» Er zeigte mit dem Kinn auf die Sporttasche. «Zeug für Adam? Nicht mal das erlauben die.»
«Und was machen Sie hier?», fragte Leslie, die stellvertretend für Adam das Gefühl hatte, dass Behling sich in etwas einmischte, was eigentlich Adams Sache war.
«Ich mach hier den Verbindungsmann, solange die Sache groß bleibt und Adam an Bord festsitzt», sagte Behling, winkte aber gleichzeitig mit aufdringlicher Bescheidenheit ab: «Gibt von hier aus aber nicht viel zu sehen.»
Leslie nickte. «Was von Adam gehört?», fragte sie und merkte, wie sie Behlings reduzierte Sprechweise imitierte.
«Sicher nicht mehr als Sie», sagte Behling und belauerte sie, als wüsste sie was. «Wie geht’s ihm eigentlich?»
Leslie verstand nicht.
«Wegen dieser ganzen Hypersensibilität und so weiter», sagte Behling. «Schwierige Sache, stelle ich mir vor.»
«Ich wusste nicht, dass er Ihnen das erzählt hat», sagte sie ungeschützt. Sie hatte ihren Frieden damit gemacht, dass sie nicht gut darin war, sich nichts anmerken zu lassen.
«Hat sozusagen keine Geheimnisse vor mir.» Darauf fiel ihr nichts mehr ein. Behling benutzte noch einmal sein Kinn als Indikator Richtung Sporttasche und sagte, locker und vertraulich: «Komm, gib her. Mal sehen, was ich machen kann. Kann dauern, aber mal gucken.» Mit anderen Worten, dachte sie, ich geb dir die Tasche, muss mich bei dir bedanken, und in zehn Tagen, wenn Adam wieder im Präsidium ist, gibst du sie ihm achselzuckend, weil’s vorher verboten war.
«Toll, danke», sagte sie und gab ihm die Tasche.
«Noch was», sagte Behling. «Kleine Vorwarnung. Oder besser gesagt: Vorabinfo. Ab morgen, spätestens übermorgen wird geimpft. Erst mal nur Risikogruppen, also Kontaktpersonen und potenzielle.»
Leslie runzelte die Stirn.
«Familie zählt definitiv dazu», sagte Behling. «Ich nehme mal an, ihr hattet Kontakt, bevor er an Bord ging.» Leichthin, um gerade noch nicht nachweisbar schlüpfrig zu sein. Leslie reagierte nicht. «Und die Kinder», sagte Behling. «Damit Sie schnell drankommen, rufen Sie am besten schon heute Nachmittag bei der Hotline an und lassen sich für morgen einen Termin geben. Die Nummer geht eigentlich erst morgen raus, aber da sitzen jetzt schon Leute, das weiß ich.» Er nahm eine Visitenkarte von sich und schrieb eine Nummer von seinem Handy-Display ab. Dann reichte er ihr die Karte durch den Zaun. Leslie nahm sie langsam.
«Danke», sagte sie zum zweiten Mal.
34 . Kapitel
Die Stille wurde von einem rhythmischen Geräusch unterbrochen, das Danowski an die undichte Luftmatratzenpumpe seiner Kindheit
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