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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Stockholmsyndrom, dachte er undeutlich, während er «Ich komme!» rief und sich die Schuhe überstreifte, ohne vorher die Schnürsenkel zu lösen. Im Nachhinein war er noch den Rest des Tages dankbar für diese beiden Handgriffe und Fußbewegungen, denn auf Socken wäre das, was ihm dann passierte, noch schlechter erträglich gewesen.
    Danowski öffnete seine Kabinentür, die sofort immer weiter aufging, als wäre sie außerordentlich schwer oder als drückte ein Orkan dagegen. Es waren aber lediglich etwa ein Dutzend Crewmitglieder, Männer mit dunklen oder gar keinen Haaren, schwarzen Polyesterhosen und den praktischen Windjacken der Reederei. Sie drängten Danowski zurück in die Kabine und drückten ihn, bis er sich in einer scheinbar fließenden Bewegung aufs Bett setzte. Es waren tatsächlich nur acht, wie er zählte, um die Situation zumindest numerisch in den Griff zu bekommen, und sie sagten kein einziges Wort. Zwei blieben im kurzen Gang vor der Toilette stehen, sicherten die geschlossene Kabinentür und sahen ihn an, als hätte das alles nichts mit ihm zu tun. Die anderen sechs setzten sich auf jeden verfügbaren Platz in der jetzt außerordentlich gut gefüllten Kabine: jeweils einer links und rechts von ihm, einer rittlings auf den Stuhl am Schreibtisch, sodass seine Knie gegen Danowskis drückten, und drei auf das gegenüberliegende Bett. Sie zwängten ihn ein, ohne ihn mehr zu berühren als unbedingt notwendig. Sie bedrängten ihn, ohne ihm deutlich Gewalt anzutun. Sehr geschickt, dachte Danowski, während er aufzustehen versuchte, auf diese Weise wird es niemals etwas geben, was ich ihnen offiziell vorwerfen könnte. Später, in der wahren Welt. Falls das alles hier jemals aufhört. Offenbar wollten sie ihn nicht zusammenschlagen oder Schlimmeres, aber die brutale Subtilität der Einschüchterung beeindruckte ihn mehr, als ein paar gebrochene Rippen es getan hätten. Er kam nur dazu, seinen Hintern etwa eine Handbreit übers Bett zu heben, bevor ihn jeweils eine Hand von links und rechts auf der Schulter wieder hinunterdrückten.
    «Sie ermitteln hier an Bord und verstoßen damit gegen die Schiffsgewalt des Kapitäns und seiner Besatzung», sagte der, der ihm schräg gegenüber in der Nähe des Fensterspiegels saß und den er schon kannte, mit dem gleichen ost- oder südeuropäischen Akzent, den Danowski nicht einordnen konnte: Er fand inzwischen sogar, dass dieser Akzent wie ausgedacht klang, und am Ende war der, der ihn sprach, Deutscher. Sie trugen keine Namensschilder, und die Windjacken verhinderten, dass er erkennen konnte, welche Funktion die acht an Bord hatten. Der, der jetzt sprach, kam ihm vage bekannt vor. Einer von denen, die die Tenderpforte überwacht hatten, als er das Schiff vor Tagen zum ersten Mal betreten hatte? Danowski versuchte, die Hände auf seinen Schultern abzustreifen, ohne seine eigenen zu benutzen, aber sie blieben auf ihm liegen.
    «Was wollen Sie?», fragte er der Vollständigkeit halber, weil solche Situationen einem festgelegten Schema folgten, dem man sich nicht entgegenstellen, das man aber manchmal beschleunigen konnte.
    «Der Kapitän ist nicht mit Ihrem Verhalten einverstanden», sagte der Mann mit dem erfundenen Akzent. Er hatte leicht gerötete Augen, mit denen er Danowski anschaute, als hätte er Lust, aber noch nicht den Auftrag, ihm weh zu tun. Danowski sagte nichts, denn er kannte bereits die Antwort: Captain is busy. Das waren jedenfalls nicht die, die ihn mit Kopfkissenbezügen getarnt eine Stahltreppe hinuntergestoßen hatten. Diese hier zeigten ihr Gesicht. Er fand, dass das kein Grund war zur Erleichterung: doppelt bedroht zu sein.
    «Sie sorgen für Aufregung unter den anderen Passagieren. Wie sagt man in Deutschland? Sie machen mit Ihrer Scheiße die Leute verrückt. Sie werden verstehen, dass der Kapitän diese Art von Verhalten nicht tolerieren kann. Sie sind schon einmal dringend gebeten worden, sich an Bord unauffällig zu verhalten. Sie sind daran erinnert worden, dass Sie hier keinerlei Polizeigewalt ausüben können. Für Bitten und Erinnerungen scheinen Sie nicht besonders empfänglich zu sein.»
    Danowski versuchte noch einmal aufzustehen. Weniger aus dem Wunsch, sich wirklich der Situation zu entziehen, mehr aus Ungeduld. Er wusste, dass er dies hier über sich ergehen lassen musste, bis es vorüber war.
    «Sie genießen die Privilegien eines zahlenden Passagiers, obwohl Sie sich widerrechtlich hier an Bord aufhalten.»
    «Mir ist von

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