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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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erinnerte.
    Das war er selbst, und er hörte sich schluchzen.
    Je weniger der Schmerz seine Welt ausfüllte, desto mehr merkte er ihn: vor dem Kontrast wiederkehrender Bilder und Empfindungen wie etwa dem Geschmack des Teppichs, schien der Schmerz umso heller und unerbittlicher. Danowski stöhnte und rollte sich zusammen. Schlechte Idee. Er streckte sich und stöhnte weiter, weil er auf diese Weise wenigstens nicht mehr so viel schluchzte. Weniger schluchzen war besser als viel schluchzen, darauf konnte man sich doch vielleicht einigen. Atmen, dachte er, der Trick ist zu atmen. Von hier unten konnte er die beiden weiß-beige furnierten Nachttische sehen, die gleichfarbigen Lampenschirme und im Winkel zurückgeworfene Abbilder von ihnen aus dem Spiegel, der sein Fenster war. Wenigstens musste ihn niemand so sehen. Höchstens er sich selbst, falls er je wieder auf die Beine käme.
    Dann lag er da. Sterben? Ach, nein. Nicht sterben. Nicht hier. Und nicht so. Gerührt von sich selbst und seiner Lage, schluchzte er noch einmal, und das nun fremde Geräusch erschreckte ihn. Ihm war, als wäre er als Schlafwandler auf einem Dachfirst aufgewacht, oder ein Bergsteiger, dem auf dem schmalsten Felsgrat plötzlich klarwurde, in welcher gefährlichen Lage er sich befand: Er konnte in fast alle Richtungen eigentlich nur abstürzen, er konnte sich fallen lassen, oder er konnte mit größter Willenskraft seine Angst herunterschlucken und einen Weg fortsetzen, von dem er bis eben gar nicht gewusst hatte, dass es zu ihm keine Alternative gab.
    So nicht, dachte Danowski. Nicht mit mir.
    Er kotzte und drehte dann mühsam den Kopf beiseite, um nicht in sein Erbrochenes starren zu müssen.
    Mit mir nicht, dachte Danowski noch einmal. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er etwas wie Triumph, und es gefiel ihm gut. Ihr habt versagt, dachte er. Wenn ihr mich in Ruhe gelassen hättet, wäre ich hier mit halbherzigem Ermittlerzeug versauert, bis man mich von Bord gelassen oder bis die Viren mich erwischt hätten. Unwahrscheinlich, dass ich irgendwas erreicht oder auch nur mit Nachdruck verfolgt hätte. Aber jetzt reicht’s mir.
    Von der Kabinentür hörte er ein zaghaftes, kurzes Klopfen, das klang, als wollte es am liebsten überhört werden. Vorsichtig hob er den Kopf, dann den Oberkörper, und begann, sich in der Kabine nach dem Kampfstift umzusehen, den Schelzig ihm gegeben hatte.
    Nachdem er die Tür mit dem Fuß geöffnet hatte, ließ er sich einen Schritt zurückfallen und hielt die Nachttischlampe mit der kaputten Glühbirne in der Fassung vor seinen Körper. Den spitzen Stahlkugelschreiber umklammerte er verdeckt in der anderen Hand.
    Vor ihm und der Tür stand jedoch kein Angreifer, sondern ein Offizier, den er von der Rezeption kannte und der an der Quetschung eben nicht beteiligt gewesen war. Danowski ließ misstrauisch die Lampe sinken.
    «Fax for you», sagte der Offizier mit Rudimenten von Höflichkeit und Gastfreundschaft in der Körperhaltung, wenn auch nicht in der Stimme.
    «Put it on the floor», sagte Danowski und schwenkte dirigierend die Nachttischlampe. Der Offizier zuckte die Achseln und ließ das Faxpapier zu Boden schweben. Sie sahen ihm beide dabei zu.
    «I need to talk to the captain», sagte Danowski. «I need my gun and some supplies.»
    «Captain is busy», sagte der Offizier. «I’ll give him your message.»
    «Always busy», sagte Danowski.
    «Very busy man.» Und nachdem der Offizier gemerkt hatte, dass Danowski sich nicht nach dem Papier bücken würde, wandte er sich ab, und Danowski schloss die Tür. Er wartete, bis er durch die geschlossene Kabinentür seine Schritte auf dem Gang verschwinden hörte, was schnell ging wegen des dicken Teppichs. Dann bückte er sich nach dem Fax, das aufs Gesicht gefallen war. Halb war er auf Bilder von den Kindern und Leslies Handschrift eingestellt, halb auf irgendwas aus Panama, das ihm endlich Jurisdiktion geben würde.
    Aber er sah den Briefkopf des Tropeninstituts und ein paar dürre Zeilen von Tülin Schelzig. Ich muss Leslie die Faxnummer geben, dachte er, während er Schelzigs Zeilen überflog.
    Ihre Kollegen aus der Forensik sind offenbar sehr gründlich. Sie arbeiten noch an ihrem Bericht über Fingerabdrücke und mögliche DNA -Spuren an den Ampullenresten und dem Magneten.
    Er musste unwillkürlich grinsen. Offenbar war es Schelzig gelungen, sich durch ihr penetrantes Auftreten zu einer Art inoffiziellen Einsatzleiterin zu machen, bei der die

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