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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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ja, die Polizei sei dein Freund und Helfer. In diesem Fall aber brauche ich ausnahmsweise einmal Ihre Hilfe.» Er musste sich zusammenreißen, um nicht das Gesicht zu verziehen angesichts der niederschmetternden Uninspiriertheit seines Vortrags. Egal, dachte er, vielleicht sind wir nächste Woche alle von fleischfressenden Viren zu Brei gekaut, dann war das hier nur eine weitere Demütigung, auf die es am Ende auch nicht mehr ankam. Ein seltsam trockener Geruch stieg ihm in die Nase, ein Geruch, der ihn an sehr viel früher erinnerte und daran, wie er mit Leslie 1985 beim Simple-Minds-Konzert in der Deutschlandhalle gewesen war. Er blickte sich um und sah, dass er bis zu den Knien in Trockeneisnebel stand. Am Bühnenrand ruderte die Cruise-Direktorin Richtung Technik mit den Armen. Jemand meinte es offenbar richtig gut mit ihm beziehungsweise mit der ganzen Talentshow, denn an den Lichtverhältnissen im Saal, die sich mit jeder seiner Bewegungen in Helligkeit und Farbigkeit änderten, sah er, dass er nun auch noch von hinten mit Laserstrahlen beleuchtet wurde. Er machte eine scherzhafte Hardrock-Kralle mit der rechten Hand und eine Art Metal-Gesicht, aber niemand lachte. Scheiße, dachte Danowski, mir geht’s wie Carsten Lorsch: Ich verrecke hier.
    «Jedenfalls», fuhr er fort, unfähig, ein weniger dröges Wort zu finden, «jedenfalls suche ich nach Informationen über einen Passagier, der sich hier an Bord aufgehalten hat und der, nebenbei bemerkt, der Grund ist, warum wir alle hier sind.» Er merkte, dass die Leute im Theater aufhorchten. Zumindest die, die ihn verstanden. Danowski hielt das Bild hoch, das Carsten Lorsch bei der Einschiffung zeigte.
    «Carsten Lorsch war Passagier der ‹ MS  Große Freiheit›, als er sich mit einem tödlichen Virus infizierte oder absichtlich angesteckt wurde. Hat irgendjemand von Ihnen Informationen darüber, was Carsten Lorsch hier an Bord gemacht hat? Hat jemand mit ihm gesprochen? Ist er vielleicht zufällig auf Fotos, die Sie während der Schiffsfahrt oder bei den Landausflügen gemacht haben? Kennen Sie seine Begleiterin Simone Bender? Haben Sie Zeit mit den beiden verbracht? Haben Sie irgendwo ein Gepäckstück gesehen, das den beiden gehört haben könnte und das sie vielleicht an Bord verloren oder versteckt haben? Eine braune Aktentasche? Jede Information könnte uns helfen.»
    «Wer ist
uns
?», rief jemand aus dem Publikum.
    «Uns bin ich», sagte Danowski mit aller Autorität, die er aufbieten konnte.
    «Ist das eine offizielle Ermittlung?», fragte ein grauhaariger Mann Ende fünfzig, der tatsächlich im weißen Frotteebademantel im vorderen Teil des Theaters saß. Seine Begleiterin, ebenfalls im weißen Bademantel, nickte mit Nachdruck: erwischt!
    «Nein», sagte Danowski und sah, wie die grünen Laserstrahlen unter seinen beschwichtigenden Handbewegungen durch den Raum tanzten. «Das ist eine Talentshow.» Er hörte ein paar französische und italienische Sprachfetzen aus dem Saal, die anscheinend darauf hinausliefen, dass Menschen sich, einander oder ihn fragten, was er hier eigentlich erzählte. Danowski ging für Sekundenbruchteile in sich und beschloss, sich nicht auch noch in europäischem Pidgin zu blamieren. Er sah, wie mindestens ein Mann, der am Gang gesessen hatte, das Theater mit der Andeutung eines Kopfschüttelns verließ.
    «Ich bin in Kabine  6266 , die nächsten zwei Stunden. Kommen Sie vorbei, wenn Ihnen etwas einfällt, oder schieben Sie mir einen Zettel unter der Tür durch, damit wir uns in Verbindung setzen können. Danke.» Die Cruise-Direktorin stand zu weit entfernt von ihm, er musste lange Sekunden warten, bis sie sich auf der Mitte der Bühne getroffen hatten, damit er ihr das Mikrophon zurückgeben konnte. Im letzten Moment entzog er es ihr noch einmal und sagte zwei Sätze auf Englisch, die mit dem, was er zuvor auf Deutsch gesagt hatte, inhaltlich wenig mehr als die Namen Carsten Lorsch, Simone Bender und seine Kabinennummer teilten. Dann ging er von der Bühne, vorbei an einer Gruppe etwa fünf- bis siebenjähriger Mädchen mit improvisierten Ballettröckchen und heißen Wangen. In seiner Kabine legte er sich aufs Bett und starrte auf die rechteckige Öffnung der Klimaanlage in der Decke.
     
    Als ihn Schläge gegen die Kabinentür weckten, wusste er sofort, wo er war. Vielleicht ein erstes Zeichen, dass er dabei war, sich zumindest im Schlaf und unmittelbar beim Aufwachen mit der Situation zu arrangieren. Mein Scheißschlaf hat

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