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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Gegen Ende des Ganges, vielleicht zwanzig Meter entfernt, stand ein undurchschaubares Grüppchen, drei oder vier Männer auf engstem Raum mit Uniformen und Mundschutz. Danowski hielt sich hinter den anderen, als sie ein paar Meter vor der Absperrung standen wie Schaulustige in der Nähe eines Blechschadens.
    «Sieht so aus, als wäre sie noch da», sagte Sonja leise.
    «Wo sollte sie auch hingegangen sein», fragte sich Danowski.
    «Ehrlich gesagt wundere ich mich, dass sie sie nicht einfach verbrennen», wandte Francis ein. «Sobald sie tot ist, machen sie das wahrscheinlich.»
    «Verbrennen?», fragte Danowski alarmiert.
    «Ja, es gibt weiter unten Richtung Maschinenraum eine Verbrennungsanlage. Für Müll und so weiter.»
    «Vermutlich haben sie andere Anweisungen», sagte Sonja.
    «Anweisungen?» Danowski war sich nicht sicher, wie sinnvoll das in seinen Ohren klang. «Ich würde eher davon ausgehen, dass die Reederei die Kranken versteckt, damit keine Panik ausbricht oder um das Ausmaß zu vertuschen.»
    «Das Ausmaß ist überschaubar. Oder es hat sich nicht rumgesprochen, falls hier unten noch mehr Kranke versteckt werden», sagte Francis.
    «Hey!», schrie jetzt einer durch seinen Mundschutz, und dann in einem Englisch, das Danowski bekannt vorkam: «Was glotzt ihr? Verpisst euch!»
    «Wir sind hier, um Simone zu besuchen!», rief Francis zurück, sein amerikanisches Englisch südlich, aber makellos. Vater vermutlich G.I., dachte Danowski. Und der Sohn schön blöd, hier so rumzubrüllen. Oder?
    «Sie empfängt keine Besucher!» Okay, man kannte sich offenbar und ließ sich nicht so leicht provozieren.
    «Keine Sorge», sagte Sonja leise. «Sie haben sich daran gewöhnt, dass wir hier ab und zu auftauchen.»
    «Das ist eine schöne Geste», fand Danowski. «Aber mir nützt sie wenig.»
    «Immerhin wissen Sie jetzt, dass Sie nicht weitersuchen müssen. Und dass es Leute gibt, die ein Interesse daran haben, Simone Bender zu verstecken.»
    «Ich lass mich ungern belehren, aber da haben Sie auch wieder recht.»
    «Seriously», rief Francis jetzt. «Wir haben Zigaretten für Mary.» Einer aus der Gruppe löste sich und ging betont langsam in ihre Richtung. Danowski blickte zu Boden und schob sich hinter Katjas relativ breiten Rücken. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Sonja zwei Schachteln Zigaretten aus unterschiedlichen Taschen ihrer Uniformjacke zog, und Francis eine. Der Mann mit dem Mundschutz nahm zwei davon und wollte nach der dritten greifen, aber Francis sagte: «Können wir kurz selbst mit ihr reden?»
    «Ihr seid Idioten.»
    «Sie wird doch sonst wahnsinnig hier unten. Wir wollen nur mal kurz hallo sagen.»
    «Habt ihr was für den Mund?»
    Francis nickte, und alle zogen leicht angegrabbelte Mundschutze aus ihren Jackentaschen. Danowski schaltete und fand einen in seiner. Er zog ihn über.
    «Ich muss sie wecken. Ihr habt drei Minuten.» Dann schlurfte er den Gang zurück, wobei das Wecken darin bestand, dass er im Vorübergehen, ohne sein Tempo zu ändern, zweimal hart und laut gegen die dritte Kabinentür links schlug.
    Nichts rührte sich.
    «Your time is running out!», rief er vielsagend, sobald er seine Gruppe wieder erreicht hatte und bevor sie die Köpfe wieder zusammensteckten. Danowski starrte. Es waren rund zwanzig Meter, das Licht war nicht gut, er konnte die Gesichter nicht erkennen, und er selbst trug leichtes Rouge auf den Wangen und eine blaue Afro-Perücke, und er wusste nicht viel, aber er wusste, wenn Blicke sich trafen. Er hätte nicht einmal sagen können, wessen Blick aus der Gruppe im Gang seinen getroffen hatte, aber er spürte ihn wie einen elektrischen Schlag, den man mit einem Fremden im Fahrstuhl tauscht. Die Architektur der Mundschutz-Gruppe veränderte sich, die Köpfe waren jetzt näher beieinander. Hatte ihn jemand erkannt?
    Vor mir, dachte er mit einer Klarheit, die ihn selbst überraschte. Sie verstecken Simone Bender vor mir, damit ich nicht mit ihr reden kann. Dafür ist es jetzt zwar sowieso zu spät, weil sie inzwischen wahrscheinlich gar nicht mehr ansprechbar ist. Aber sie wollten nicht, dass sie mir erzählt, was passiert ist. Bisher dachte ich, sie wollte mir das selber nicht erzählen. Weil sie schuldig oder mitschuldig ist an etwas, das ich noch nicht verstehe.
    Dann stand Mary im Flur, schlaftrunken und alarmiert, aber nicht alarmiert durch das Wummern an ihrer Tür, sondern – das sah Danowski leicht – alarmiert seit Tagen, alarmiert vom Dauerton der

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