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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Virus-Angst. Er erinnerte sich an das Memo, das Tülin Schelzig fürs Krisenzentrum geschrieben hatte: «Übertragungswege des Virus sind Blut und andere Körperflüssigkeiten, die Infektion entsteht meist durch direkten Körperkontakt. Todesursache bei den meisten Infizierten ist multiples Organversagen, da das Virus sehr hohes, lebensgefährliches Fieber mit inneren Blutungen verursacht, das sogenannte hämorrhagische Fieber.»
    Ein Licht lief über Marys Gesicht, als sie die Perücken sah, das erkannte man trotz Mundschutz. Sie hielt ihre Strickjacke zu, obwohl es warm war hier unten. Danowski schwitzte unter seiner Perücke. Dann nahm sie die verbliebene Schachtel Zigaretten, die Sonja ihr hinhielt, und bedankte sich in Oxford-Englisch. Als ihr Blick auf Danowski fiel, runzelte sie die Stirn.
    «Ein Freund von uns, keine Zeit zum Erklären», sagte Sonja auf Englisch und so leise, dass Danowski sie kaum verstand, weil Francis gleichzeitig in normaler Lautstärke irgendwas Aufmunterndes über das Ende der Quarantäne nächste Woche und Gerüchte über neu entdeckte Alkoholvorräte sagte. «Polizei, gute Polizei, er will helfen. Er möchte schnell was fragen.»
    Gute Polizei, dachte Danowski. Das wird sich noch zeigen. Er merkte, dass Mary ihn erwartungsvoll ansah. Jung, keine fünfundzwanzig, kurzes schwarzes Haar, schmerzhaft dünn. Fragen, stimmt, dachte er. Was habe ich eigentlich für Fragen?
    «Dauert das in Ihrem Land immer so lange, bis die Polizei kommt?», fragte sie und sah ihn müde an. «Es ist über eine Woche her, dass ich angerufen habe.»
    «Sie waren die anonyme Anruferin», sagte er.
    «Ja. Ich wollte nicht, dass das alles vertuscht wird.»
Covered up
, sagte sie, und er musste daran denken, wie der zerstörte Leib von Carsten Lorsch zugedeckt unter der Decke gelegen hatte, bis Ehlers sie anhob.
    «Können Sie mir irgendwas darüber erzählen, was sich in der Kabine abgespielt hat, bevor Carsten Lorsch krank wurde? Haben Sie irgendwas gesehen, ist Ihnen was aufgefallen?» Sein Englisch war schleppend, aber mühsam korrekt, er hatte jeden Kurs besucht, weil ihm alles andere peinlich gewesen wäre.
    «Sie haben viel gestritten», sagte Mary. «Aber nicht von Anfang an. Ich musste oft umkehren und später wiederkommen, wenn ich die Kabine machen wollte. Sie sind tagsüber wenig rausgegangen. Sie sind in der Kabine geblieben und haben gestritten.»
    «One minute!»
    «Wann fing das Streiten an, können Sie das sagen?»
    «Nach Edinburgh. Oder Newcastle. Eher Newcastle, würde ich sagen.»
    «Irgendwelche Gegenstände in der Kabine, irgendetwas Seltsames?»
    «Er hatte immer einen sehr seltenen Whisky im Kühlschrank. Single Malt. Eine Flasche mit ungewöhnlicher Form. Das hat mich gewundert. In der Minibar. Whisky gehört ja nicht in den Kühlschrank. Als ich die Minibar wieder aufgefüllt habe, habe ich die Flasche rausgestellt, danach hat er das einzige Mal mit mir gesprochen. Er hat gesagt, das soll ich nie wieder tun. Don’t touch it, hat er gesagt. Und mir zwanzig Euro gegeben.»
    Bevor er weiterfragen konnte, verabschiedete sich Francis laut und deutlich von Mary, die ihnen ein wenig ratlos hinterherblickte.
    «Wir sollten jetzt besser gehen», sagte Sonja, und Katja zog ihn am Arm den Gang hinauf und um die nächste Ecke, während sie alle vier so schnell gingen, wie es möglich war, ohne den Eindruck zu machen, in Eile zu sein. Nichts von dem, was Mary gesagt hatte, war interessant für Danowski. Jeder stritt, und ob Whisky in den Kühlschrank gehörte oder nicht, war ihm völlig egal. Jetzt blieb ihm nur, gespannt auf die Tasche zu sein.
    «Was ist denn drin?», fragte er auf dem Weg. Sonja hob die Schultern. «Wir haben nur einmal nachgeschaut. Ein Aktenordner mit Unterlagen, ein Laptop. Ein bisschen Kleinkram. Nichts, womit man auf den ersten Blick was anfangen könnte.»
    «Und wie seid ihr an die Tasche gekommen? Und bitte werft euch nicht wieder einen Blick zu.»
    «Sie hat sie Francis gegeben.»
    «Verstehe ich nicht.»
    «Ich auch nicht so ganz», sagte Francis. «Das war am Tag, bevor wir hier angelegt haben, kurz bevor sie verschwunden ist. Nachdem wir sie zur Miss Große Freiheit gekürt hatten, haben wir ab und zu geplaudert, wenn wir uns über den Weg liefen. Schließlich hatten wir einen ganzen Abend zusammen auf der Bühne verbracht. Dann kam sie morgens ins ‹Alster-Café›, wo Maik und ich manchmal aushelfen. Sie sagte, sie müsste was erledigen und ob ich die Tasche kurz

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