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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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für sie aufbewahren könnte. Und dann war sie weg.»
    «Weiß irgendjemand, dass ihr die Tasche habt?»
    «Na ja, wir haben am ersten Tag kein Geheimnis daraus gemacht, aber nachdem es offensichtlich war, dass wir einen Toten an Bord haben, der an Ebola oder so was gestorben ist, und dass das der Freund von Simone Bender war, haben wir die Tasche in eine Plastiktüte eingewickelt und bei uns in der Kabine unten im Schrank versteckt», sagte Sonja, während sie die Tür zu ihrer Kabine öffnete.
    «
Im Schrank
ist immer das Gegenteil von
versteckt
», sagte Danowski und maß den Raum mit ein paar Blicken. «So als kleiner Tipp für die Zukunft.» Die Kabine bestand aus zwei Etagenbetten aus Metall mit dünnen Matratzen und sorgfältig gemachten Betten, einem Tisch mit vier Stühlen, zwei in der Wand verankerten Schränken und keinem Bullauge.
    «Ich hatte mir irgendwie vorgestellt, dass Männer und Frauen hier getrennt wohnen», sagte Danowski.
    «Ist eigentlich auch so», erklärte Sonja. «Aber das hat sich alles ein bisschen in Wohlgefallen aufgelöst. Inoffiziell wohnen wir immer zusammen, wenn die Reederei uns vier gemeinsam einteilt. Dann muss man nur ein bisschen tauschen. Im Moment ist es nicht ganz einfach, den Platz hier zu verteidigen, denn Sie haben ja gesehen, die haben da hinten, wo Simone Bender liegt, ziemlich viele Kabinen geräumt.»
    «Wir haben uns stur gestellt», sagte Francis. «Das klappt bisher ganz gut.» Katja schloss die Tür hinter ihnen und nahm ihre Perücke ab, unter der hochgebundene schwarze Haare zum Vorschein kamen. Danowski griff sich seinerseits vorfreudig in seine, um sie sich herzhaft vom Kopf zu reißen, aber Katja fiel ihm in den Arm und winkte ab, mit einem Blick Richtung Tür «Besser nicht!» signalisierend.
    «Außerdem sind Katja und Maik ein Paar, und Francis ist schwul», sagte Sonja. «Und ich bin sozusagen die große Schwester von allen.»
    «Die perfekte WG », sagte Danowski und meinte es so. «Wann darf ich einziehen?»
    «Erst mal …», sagte Francis, öffnete den Schrank und bückte sich ins untere Fach, wobei er durch seinen Körper verdeckte, was er dort vorhatte, «… das hier.» Als er sich umdrehte, hatte er einen Wasserkocher in der einen und ein noch zu einem Drittel volles großes Glas Nescafé in der anderen Hand. Er füllte den Wasserkocher aus einer Plastikflasche und stellte alles auf den Tisch, wo bereits vier Becher standen.
    «Oh mein lieber Gott», sagte Danowski voller Ehrfurcht.
    «Vielleicht wird doch alles gut», sagte Sonja, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
    «Danke für das Vielleicht», sagte er. «Das hilft mir, dran zu glauben.»
    Dann saßen sie zu viert um den Tisch, und Danowski, der sich nichts aus Johnny Cash machte, musste an etwas denken, von dem ihm jemand einmal erzählt hatte, Johnny Cash hätte es gesagt, nämlich, was für ihn das Paradies sei, und zwar: mit seiner Frau morgens Kaffee zu trinken. Ihm fehlte seine Frau, und es war nicht morgens, aber, dachte Danowski, das hier ist dann laut Johnny Cash im Grunde ein Drittel vom Paradies, und wenn das nicht ein ganz schöner Fortschritt ist. Löslichen Kaffee hatte er schon immer gemocht, er schmeckte nach Camping und Spontansein, und der Gedanke, dass er die Essenz schon einmal aufgebrühten und wieder verdunsteten Kaffees war, gefiel ihm.
    «Und jetzt die Tasche», sagte Danowski, als er den Becher zum letzten Mal abgesetzt hatte.
    «Kommt sofort», sagte Francis, jetzt ebenfalls in aufgeräumterer Stimmung, und tauchte noch einmal in den Schrank, aus dem er den Wasserkocher geholt hatte. Danowski sah über seine Schulter, dass er das Bodenblech herausnahm und aus dem Hohlraum, der im Fuß des Schrankes war, eine hellgelbe Plastiktüte holte, aus der er eine braune Ledertasche zog, die genauso aussah wie jene, die Kathrin Lorsch beschrieben hatte und die Danowski selbst auf einem der Fotos von Simone Bender und Carsten Lorsch gesehen hatte.
    «Handschuhe?», fragte Danowski, als es bereits zu spät war, weil er so lange darüber nachgedacht hatte, ob das Infektionsrisiko eventuell niedriger wäre, wenn er es nicht erwähnte.
    «Wir haben die Tasche mal untersucht, nachdem die Sache mit dem Toten rum war», sagte Sonja. «Und keine Blutspritzer oder so was gefunden.»
    «Na gut», sagte Danowski und nahm die Tasche. Seine Plastikhandschuhe waren in der Jacke des Anzugs, den Maik gerade trug. Blöd, wenn man wenig Erfahrung mit der Logistik des Kleidertauschens hatte.

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