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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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man hörte, wie er von etwas aufstand, das offenbar ein Bett war, und in ein anderes Zimmer ging. «Deine Frau hat mir die Sporttasche mit den Sachen für dich gegeben, ich wollte immer schon fragen, ob du die bekommen hast. Offenbar gehen ja wenigstens deine Telefone wieder.»
    «Was für eine Tasche? Knud, es geht gerade um was …»
    «So ’ne dunkle Sporttasche mit Sachen von dir. Bilder von Kindern und paar Schlüpfer und so. Posten von der Besatzung hat mir die abgenommen und gesagt, sie prüfen die und sehen, was sich machen lässt.»
    «Ich brauche keine beschissene Tasche», sagte Danowski wütend, weil er jetzt nicht über Bilder sprechen wollte, die seine Kinder gemalt hatten. «Ich brauche Verstärkung. Ein Mobiles Einsatzkommando oder so was. Holt mich hier raus. Scheiß auf die ganzen Vorschriften und die Jurisdiktion und den ganzen Krampf. Ein MEK , das mich hier rausholt.»
    «Ein MEK ? Kein Problem», sagte Behling in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass es nichts gab, was daran kein Problem war.
    «Es hat einen weiteren Toten gegeben», sagte Danowski so leise wie möglich. «Und der Tote sollte eigentlich ich sein.»
    «Adam», sagte Behling, und Danowski hörte, dass er sich setzte. «Du stehst unter einer Menge Stress. Das ist alles bestimmt ganz schön viel für dich. Dieses Eingesperrtsein, die Machtlosigkeit, die ganzen fremden Leute. Ich sag mal, das ist sicher kein Zuckerschlecken mit deiner Hypersensibilität.»
    «In meiner Kabine liegt ein Toter», sagte Danowski. «Der aussieht wie ich. In meinem Bett. Ein toter Mann.»
    «Der aussieht wie du?»
    «Ja. Eine Verwechslung.»
    «Moment. Warum liegt ein Mann in deinem Bett, mit dem du verwechselt werden könntest?»
    «Er hat so getan, als wäre er ich.»
    «Warum?»
    «Damit ich mich als er verkleiden konnte und …»
    «Du hast dich verkleidet?»
    «Ja, um zu ermitteln, Knud. Um Simone Bender zu finden. Und die Aktentasche von Carsten Lorsch.»
    «Und hast du sie gefunden?»
    «Ja. Nein. Sie stirbt.»
    «Die Aktentasche stirbt?»
    «Simone Bender stirbt. Die Aktentasche war leer.»
    «Adam, sitzt du? Versuch, ganz ruhig zu atmen. Bist du in deiner Kabine?»
    «Ich habe dir doch gesagt, in meiner Kabine ist ein Toter …»
    «Der aussieht wie du. Du bist durch einen Toten ersetzt worden.»
    «Knud, ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt anrufe. Aber Finzi geht nicht ran, und außerdem brauche ich die Nummer von der Schelzig, der Frau vom Tropeninstitut. Handynummer. Die steht auf der Liste vom Krisenstab. Du besorgst dir doch so was immer. Gib mir die Nummer.»
    «Finzi schläft, davon kannst du mal ausgehen. Weißt du, wie spät es ist?»
    «Du hast die Liste, gib mir die Nummer von Schelzig.»
    «Wegen dem Toten …», und hier machte Behling eine Kunstpause, deren annähernde Unmerklichkeit etwas sehr Demonstratives hatte, «… solltest du dringend den Kapitän verständigen. Der wäre doch eigentlich dafür zuständig. Jetzt erst mal.»
    «Der Kapitän ist busy. Der ist immer busy. Seitdem ich auf diesem verdammten Schiff zu tun habe, gelingt es mir nicht, mit dem Kapitän zu sprechen.»
    «Sicher wird er sich von so etwas Ernstem wie einem Toten, der so aussieht wie du und an deiner Stelle in deiner Kabine in deinem Bett liegt, dazu bewegen lassen, doch mit dir …»
    «Knud, es gibt hier Leute in der Besatzung, die es auf mich abgesehen haben. Ich bin dabei, etwas herauszufinden, was ich nicht herausfinden soll.»
    «Ganz ruhig, Adam. Kein Grund, dramatisch zu werden. Denk dran, was der Inspektionsleiter gesagt hat: Ball flach halten.»
    «Und in dem Moment, wo ich es bis zum Kapitän oder in seine Nähe schaffe, wissen alle hier an Bord, dass ich noch am Leben bin. Auch die, die mich umbringen wollen.»
    Behling atmete tief ein. Endlich, dachte Danowski. Jetzt habe ich ihn. Jetzt hört er mir zu. Egal, wie schlecht wir miteinander zurechtkommen, egal, was er für ein Arschloch ist – wenn ein Kollege in Gefahr ist, hört der Kleinkrieg auf. Dann hilft man einander.
    «Adam», sagte Behling sanft. «Kennst du das Capgras-Syndrom?»
    Danowski rieb sich mit den Daumen die Augenhöhlen. Behling holte gern weit aus und ließ einen an seinem unerschöpflichen Wissen teilhaben, bevor er einem half. «Nein», sagte er resigniert.
    «Auch Doppelgänger-Syndrom genannt», erklärte Behling in aller Ruhe. «Vom französischen Psychiater Joseph Capgras zum ersten Mal 1923 beschrieben. Ein seltenes Syndrom, bei dem

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