Treibland
schien ihr die Sprache zu verschlagen. «Wissen Sie, was hier los ist?», sagte sie schließlich, und weil er wusste, dass sie nicht zu rhetorischen Fragen neigte, sagte er höflich: «Nein, tut mir leid, keine Ahnung. Aber Sie wissen sicher auch nicht, was hier los ist.»
«Mal ganz abgesehen davon, dass der Schiffsarzt inzwischen das Vollbild der Krankheit hat und innerhalb von etwa zwölf Stunden sterben wird, gibt es große Probleme mit dem Impfstoff», sagte Schelzig unverblümt. «Sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus politischer Sicht, oder meinetwegen aus menschlicher. Letzteres, weil drei Personen an Impfschäden gestorben sind. Oder an Nebenwirkungen. Oder daran, dass der Impfstoff schadhaft ist. Und das wären dann die wissenschaftlichen Probleme. Sie werden verstehen, dass ich vor diesem Hintergrund keine Zeit und – wenn Sie mir die Bemerkung gestatten – auch kein Interesse daran habe, mich mit Ihnen zu unterhalten.»
«Drei Personen?»
«Ja. Patient A, B und C. Mehr weiß ich im Moment auch nicht. Wir haben lediglich Blut dieser Patienten hier, das wir jetzt untersuchen. Die drei sind miteinander verwandt, daher wissen wir nicht, ob es sich um einen irren medizinischen Zufall aufgrund einer genetischen Vorbelastung handelt oder um …»
«Von mir jetzt auch mal ganz ehrlich», sagte Danowski, «das ist wahnsinnig faszinierend und sicher fachlich sehr anspruchsvoll, aber ich habe im Moment ganz andere Probleme. Und inzwischen glaube ich, dass Sie mir bei der Lösung dieser Probleme helfen können, und zwar auf noch ganz andere Weise, als mir irgendwelche Waffen wie aus dem
Yps
-Heft zuzustecken.»
«Der Stift war nur geliehen.»
«Dann holen Sie ihn sich doch am besten gleich hier auf dem Schiff ab. Sie sind ja nicht weit entfernt. Mit dem Taxi sind Sie in zehn Minuten hier.»
«Haben Sie mir eben nicht zugehört?»
«Doch, aber das, was Sie mir gesagt haben, interessiert mich weniger als das, was ich Ihnen jetzt sagen werde: Seit Tagen werde ich hier bedroht, und jetzt hat es einen Mordanschlag auf mich gegeben.» Das so aufzuzählen, klang unangenehm weinerlich und fast ein wenig pedantisch, etwa so, als würde er sich bei einer Telefon-Hotline über schlechten Service beklagen.
«Möchten Sie, dass ich Ihnen die Nummer der örtlichen Polizeidienststelle gebe?», sagte sie versuchsweise spöttisch und schien angetan davon, wie sich das angehört hatte.
«Ah, Frau Doktor Schelzig entdeckt den Sarkasmus für sich», sagte Danowski. «Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Sie sind die Einzige, die hier ohne Sondergenehmigung an Bord kann. Aus wissenschaftlichen Gründen, jederzeit. Und wenn Sie in meiner Nähe sind und wir uns in Sichtweite der Bundespolizei aufhalten, bin ich sicher. Andernfalls nicht.»
«Herr Danowski», sagte sie, zu korrekt, um einfach aufzulegen. «Ihre Probleme sind sicher bedrückend. Aber von meiner Anwesenheit hier hängt möglicherweise ab, ob wir morgen die Impfungen fortsetzen können oder nicht. Wir wollen auf dem Schiff damit anfangen. Dann sehen wir uns sowieso. Irgendwann am späten Nachmittag, wenn alles nach Plan läuft. Solange wir miteinander telefonieren, läuft es nicht nach Plan.»
«Wie gesagt, Sie sind die Einzige, deren Anwesenheit mich hier zumindest zeitweise beschützen kann. Sie müssen kommen. Und zwar nicht morgen, sondern jetzt sofort.»
«Ich muss gar nichts. Außer wieder ins Labor. Bitte bereiten Sie sich darauf vor, dass dieses Gespräch gleich beendet sein wird.»
Danowski schluckte den letzten Rest Toast herunter und drückte sich selbst die Daumen, denn er hatte nur einen Versuch. Er wusste, dass es irgendeine Verbindung von Carsten Lorsch und von Tülin Schelzig zur Newcastle University gab und dass sie ihm ihre verschwiegen hatte, obwohl sie sich hätte denken können, dass sie für ihn interessant sein musste.
«Mit wem soll ich denn dann über Ihre Newcastle-Verbindung reden? Mit jemand von Ihrem Institut? Mit Peters von der Gesundheitsbehörde? Oder lieber doch mit …»
«Seien Sie still.» Er konnte fast hören, wie sie nachdachte. «Ich verstehe kein Wort.»
«Sie wissen genau, was Carsten Lorsch in Newcastle gemacht hat.»
«Nein.»
«Sie ahnen es.»
Sie schwieg.
«Scheint ja alles doch nicht so dringend zu sein», sagte Danowski. «Oder möchten Sie lieber, dass wir das alles am Telefon besprechen? Während Sie bei sich im Büro am Schreibtisch stehen und auf einer Leitung sprechen, in die sich jeder
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