Treibland
der Betroffene glaubt, enge Angehörige seien durch Doppelgänger ersetzt worden.»
«O Knud», ächzte Danowski.
«Komm, ich bin bereit, dich offen und mit Respekt zu behandeln, Adam», sagte Behling mit einem nasalen Zug kurz vorm Beleidigtsein in der Stimme. «Du bist wegen psychischer Probleme in neurologischer Behandlung, das halte ich jetzt hier mal ohne Wertung fest. Ich sage es einfach. Darauf können wir uns einigen, oder? Das sind Tatsachen. Und dann, hier, warte, ich hab’s jetzt auf dem Schirm, die ICD , ‹Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme› …»
«Ich weiß, was ICD ist», log Danowski gepresst.
«… nur damit wir uns einig sind, dass das Doppelgänger-Syndrom nicht irgendein Hokuspokus ist, hier: ‹Wahnsyndrom mit Personenverkennung im Sinne der Doppelgänger-Illusion›. Offiziell erfasst und beschrieben. Im Zusammenhang mit Wahrnehmungs- und Persönlichkeitsstörungen übrigens auch auf die Selbstwahrnehmung ausdehnbar.»
«Ich bin nicht der Einzige, der den Toten gesehen hat», sagte Danowski.
«Dann bin ich sicher, dass die anderen Zeugen den Kapitän und den Sicherheitsdienst an Bord verständigen werden und dass dir nichts passieren …»
«Ganz bestimmt nicht, Knud.»
«Woran bist du denn gestorben, wenn ich mal so fragen darf? Und du hörst sicher, dass ich die Anführungszeichen deutlich mitspreche. Aber ohne Häme, Adam.»
«Vermutlich erstickt. Mit dem Kissen. Betäubt und erstickt. Was mit wenig Spuren.»
«Der Tote sieht also ganz friedlich aus.»
«Friedlicher als ich.»
«Adam, nur, um es einmal ausgesprochen zu haben: Die Doppelgänger-Illusion ist möglicherweise keine Krankheit für sich, sondern ein Symptom.» Diesmal war Behlings Kunstpause eher vorsichtig. «Ein Symptom für eine Psychose.»
«Ach, verdammte Scheiße», fluchte Danowski. «Drei andere Leute haben den Toten gesehen. Eine davon war seine Freundin.»
«Nur aus Interesse, Adam, und um wirklich alles auszuschließen. Möglicherweise reden wir hier ja auch über halluzinatorische Zustände. Also, ganz ehrlich, haben diese anderen Personen, von denen du sprichst, und hast du, habt also ihr Medikamente oder Betäubungsmittel konsumiert, bevor ihr den Toten gesehen habt, der aussah wie du?»
Danowski schnaubte, aber er sagte nichts. So war das mit Behling: Man konnte nicht gewinnen. Und erst recht nicht, wenn man im Grunde so gut wie tot war.
«Adam?»
Er antwortete nicht.
«Adam?»
Während er das Telefon sinken ließ und sein Name, wie Behling ihn sagte, leiser wurde, beendete er das Gespräch.
Er ließ sich aus der Hocke auf den Boden rutschen und saß eine Weile in Maiks Uniformhose auf dem feuchten, kalten Deck. In seiner Hand vibrierte das Telefon, weil Behling versuchte, das Gespräch fortzusetzen. Dann das andere, denn so leicht gab Behling nicht auf. Dann, in größeren Abständen, das kurze Vibrieren der Mailbox. Um keinen Preis würde er sich das anhören.
Und jetzt?, dachte er. Ich muss hier runter. Ich bin nur so lange sicher, bis jemand herausfindet, dass ich nicht der Tote bin, der in meinem Bett liegt. Okay, es klingt wirklich durchgeknallt.
Vor ein paar Tagen hatte es das Gerücht gegeben, ein Paar sei über Bord gesprungen, Freizeittaucher aus Dänemark, die bei einem Landgang in England preiswerte Neoprenanzüge gekauft hatten. Mit denen sie dann vom untersten erreichbaren Deck in die Elbe gesprungen waren. Die eine Version war, dass Hamburger Verwandte sie flussabwärts am Bubendey-Ufer aus dem Wasser gefischt und über die Grenze gefahren hatten. Die zweite, dass sie in die Schraube eines Containerschiffs aus Singapur geraten und tot waren. Die dritte, dass die Wasserschutzpolizei sie nach wenigen Metern wieder eingesammelt und zurück an Bord und zurück in Quarantäne gebracht hatte. Danowski hielt die dritte Variante für am wahrscheinlichsten: die «Große Freiheit» war Tag und Nacht von fünf bis sechs Booten der Wasserschutzpolizei umgeben, die mit ausgestelltem Motor sanft auf der Elbe schaukelten und Presse, Schaulustige und Angehörige fernhielten. Und Fluchtversuche verhinderten.
Ganz abgesehen davon, dass er nur im Urlaub schwamm, und dann auch nur, wenn die Kinder ihn dazu zwangen, war er nicht sicher, ob er aus der erforderlichen Höhe würde springen können. Das niedrigste erreichbare Deck war das sechste, und selbst von da waren es deutlich über zehn Meter bis zur schwarzen, undurchdringlichen
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