Treibland
nach Afrika fahren wollen, die Safari im Osten des Kontinents, und wegen der variablen Inkubationszeiten hätte jeder sofort die Verbindung hergestellt zu dieser Reise, sobald die Krankheit bei ihr ausgebrochen wäre. Das perfekte Verbrechen, denn es wäre für alle offensichtlich gewesen, dass sie sich auf der Afrikareise infiziert haben musste. Im unsichersten Fall wären medizinische Fragen geblieben, aber niemand hätte ihn verdächtigt. Carsten Lorsch hatte das Virus auf Vorrat geholt, er hatte es erst später einsetzen wollen, und hier auf der Kreuzfahrt war irgendwas schiefgegangen.
Er schüttelte ab, Händewaschen musste allerdings ausfallen, dafür gab es hier an der Tüte einfach nicht die Infrastruktur. Auf was für Ideen man beim Pinkeln kam. Und wie gut es jetzt wäre, mit Kathrin Lorsch über diese These reden zu können.
Er atmete aus und knotete die Plastiktüte zu. Sie hielt im Großen und Ganzen dicht. Alle, die aus welchen Gründen auch immer hier in der Halle waren oder sie einfach nur durchqueren wollten, sahen in seine Richtung oder angestrengt weg. Die Quetscher waren nur noch fünf, sechs Meter entfernt, aber sie hielten inne, als er anfing, die Tüte über seinem Kopf zu schwenken wie eine flüssige Keule.
«Viral load!», schrie er und rannte los, und selbst die gewieftesten Angreifer wichen für einen Moment zur Seite; niemand wollte mit möglicherweise viral belastetem Pipi bespritzt werden, auch wenn das alles nicht logisch war; eine Art Instinkt offenbar, keine Zeit, das durchzudenken, und dann musste man auch erst noch seinen Ekel niederkämpfen.
Ich muss erst mal außer Sichtweite sein, dachte Danowski im Rennen und Schwenken, seine Füße leider schwer von Müdigkeit. Ich muss um eine Ecke kommen, wo keiner ist, wo mich keiner kennt, und dann muss ich auf die Treppe, zügig, aber unauffällig, und dann …
Mit drei, vier Sätzen war er auf dem ersten Treppenabsatz, die Menschen machten ihm Platz und schlossen ihre unfreiwilligen Reihen erst wieder hinter ihm und staunten ihm nach, das sah er mit dem Hinterkopf. Dann vorbei am «Klabautermann», nächste Treppe, keine Ahnung, ob das Schritte hinter ihm waren und, wenn ja, wie viele, es war ein Geräuschbrei, der übertönt wurde von der hellen Fanfare seiner nächsten Idee: Wo schon ein Toter liegt, wird dich keiner suchen.
43 . Kapitel
Als er in seinem leeren Gang stand, nach rechts und links blickte und nicht wusste, wohin mit der Tüte, hatte er so etwas wie eine schlechte, aber immer noch erkennbare Fotokopie des Gefühls, nach Hause zu kommen. Gott sei Dank ging das Licht, Maiks Schlüsselkarte funktionierte, und man roch noch nichts außer einer Note Mülleimer.
Es war das erste Mal, dass er mit einem Toten im Raum war, ohne zu ermitteln. Er schloss die Tür hinter sich und schob den einzigen Stuhl unter den Knauf. Mit jeder Bewegung kontaminierte er den Tatort. Aber das, dachte er, ist das Problem der Kollegen aus Panama oder von wem auch immer. Ich muss nur kurz nachdenken, mit Kathrin Lorsch sprechen und dann über Bord springen.
Maik war eine menschenförmige Erhebung unter der Decke. Sein Gesicht war zur Wand gedreht, und Danowski war dankbar, seine Augen nicht sehen zu müssen. Ich bin ganz schön runtergekommen, dachte er. Allein im Raum mit einem Toten, und ich kann mich nicht einmal kümmern. Ich setze mich aufs gegenüberliegende Bett und gucke zur Tür und tue, als wäre nichts, wie ein dementer Witwer neben dem verwesenden Körper seiner Frau. Das gab es alles, zu anderen Zeiten relativ grauer Berufsalltag für ihn, aber jetzt ein Handlungsmuster? Schwierig, die eigene Verwahrlosung auszuhalten.
Er atmete flach und wusste nicht, was ihm unterhalb der Augen übers Gesicht lief, denn es war neben allem anderen heiß hier. Vorsichtig tat er die gefüllte Plastiktüte in den Papierkorb unter der Schreibecke, in den Francis sich erbrochen hatte; die Kabine war insgesamt ziemlich hinüber. Dann rief er Kathrin Lorsch an.
«Wo stecken Sie denn?», fragte sie, die Stimme wie im Stehen. Es klang wie Flucht nach vorn.
«Das ist schwierig zu erklären», sagte Danowski.
«Ich wollte Sie auch anrufen», sagte Kathrin Lorsch. «Ich bin dabei, für eine Weile wegzugehen.»
«Das habe ich schon gehört.»
«Was heißt das? Darf ich nicht? Gibt es irgendwas Neues?»
«Kurzfassung: Ich bin immer noch an Bord der ‹Großen Freiheit›, ich kann hier nicht weg, und ich werde bedroht.»
«Sollten Sie nicht die Polizei
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