Treibland
zu gucken hatten, machte er sogar die Beckerfaust.
«Patrick …»
«Nee, Knud. Das war’s schon. Keith Inch. Weißt du, wer das ist?»
«Jemand, der sich auf Datenrettung …»
«Nein», sagte Danowski. «Das ist Carsten Lorsch.»
«Wieso der denn?»
«Wir haben letzte Woche in seiner Kabine ein Foto gefunden von einer Insel, auf der er eine Destillerie errichten wollte und die sozusagen sein Traum von Freiheit und Selbstbestimmung war. Weiß nicht, ob du so was kennst. Du lässt dir ja lieber sagen, was …»
«Und die Insel heißt Keith Inch?»
«Inchkeith. Gute Idee mit der Namensliste, Knud. Dafür muss ich dich loben.»
«War ja nicht meine. Die Kollegen …»
«Schon gut, es reicht. Lorsch war also an der Uni und hat sich mit James Kenwick getroffen. Jetzt musst du mir nur noch erzählen, was Kenwick dazu sagt.»
«Okay, das ist die schlechte Nachricht.»
«Du hast nicht gesagt, dass du eine schlechte Nachricht hast. Du hast dieses klassische Ding mit gute Nachricht, schlechte Nachricht nicht gemacht, sonst hättest du mich ja fragen müssen, welche ich als erste hören möchte, und dann hätte ich bestimmt nicht gesagt, die gute.»
«Kenwick ist tot.» Behling klang fast mitfühlend, zumindest aufrichtig enttäuscht. Danowski merkte, dass er inzwischen nicht mehr saß, sondern mit gekreuzten Beinen dastand. Eine Toilette, bitte, alles dafür. Oder jetzt doch einfach hier laufen lassen? War es pietätlos, in die Hose eines Toten zu pinkeln? Oder gerade nicht, weil dem das im Zweifelsfall egal war? Das Problem war nur, dass öffentliches Urinieren von den Quetschern wahrscheinlich als Vorwand genommen werden würde, ihn hier aus dem Verkehr zu ziehen: Hilflose Person aufgegriffen, und jetzt hat er sich auch noch eingenässt, der Arme, wir bringen ihn mal auf seine Kabine.
«Tot», sagte er und kämpfte den Impuls nieder, die Hand in die Hose zu stecken und sich die Harnröhre zuzuhalten, um seinen Schließmuskel zu entlasten.
«Ja, Mist, ich weiß. Der kann uns nichts mehr erzählen.»
«Wie das denn?»
«Unfall, nicht mal irgendein Hinweis darauf, dass ihn jemand hätte zum Schweigen bringen wollen wegen der Unregelmäßigkeiten oder so, über die da geredet wird. Er ist von einem Stück Stein erschlagen worden, das in einer Ruine in der Nähe der Uni vom Dach gefallen ist, als er dort einen Cache versteckt hat.»
«Einen was?»
«Das war so ein Geocacher. Die verstecken immer so Caches, und dann suchen andere die mit Hilfe von GPS -Daten und Hinweisen und …»
«Du mit deinem Lifestyle-Scheiß», sagte Danowski düster. Er merkte, dass Kenwick so was wie eine Hoffnung von ihm gewesen war. Und dass er anfing, eine Idee zu haben, eine Vorstellung davon, was sich hier vor zehn Tagen vielleicht abgespielt hatte und vor gut zwei Wochen in Newcastle. Aber um mehr davon zu haben, hätte er sich darauf konzentrieren müssen, und dafür musste er dann wieder zu dringend auf die Toilette.
«Gut, Adam. Ich melde mich wegen der Evaluierung vom Amtsarzt.»
«Kannst du mir noch einen Gefallen tun, Knud?»
«Natürlich, Adam.»
«Würdest du für mich aufs Klo gehen?»
«Adam, ich lege jetzt auf.»
Dann stand er da und fragte sich, wie viel ihm jetzt eigentlich egal war. Ziemlich viel, stellte er fest. Er holte das zweite Handy aus der Plastiktüte und seine Armbanduhr, die Generalschlüsselkarte von Maik und die Durchschläge der Unterlagen über seine Untersuchung, die ihm Schelzig gegeben hatte, und stopfte sich alles in die Taschen der Uniformjacke. Er zog die blaue Perücke zurecht. Dann pinkelte er in die Tüte, den Rücken zur Eingangshalle, im dürftigen Schutz der Rezeption.
Und es war ihm egal, dass die Offiziere dahinter näher kamen und zurückwichen zugleich und ihn zu unterbrechen oder zu maßregeln versuchten mit «Sir!» hier und «You cannot do this!» da. Ihm war egal, dass die Quetscher die Distanz zu ihm verkürzten. Alles, was zählte, war die Freiheit, die durch ihn strömte, die Utopie vom Ende aller Zwänge, denn so fühlte sich das Wasserlassen an. Und mit der Freiheit kam eine große Klarheit über ihn, für einen Moment war es, als könnte sie die Müdigkeit und die Angst wegbrennen wie die Sonne den Nebel auf der Elbe.
Carsten Lorsch hatte das Virus besorgt. Ein Virus aus Afrika, illegal erhältlich in England. In Hamburg hätte er seine Frau infiziert mit dem Virus, im Essen, über ihre Malutensilien, da gab es viele Möglichkeiten. Er und seine Frau hatten
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