Treibland
drinnen: darauf, was die Kollegen machten, was die Chefs wollten, was die Zeugen unterschrieben und was es mittags in der Kantine gab.
Direkt hinter dem Besucherparkplatz war die Deutschlandzentrale eines Rumimporteurs, dessen Markenzeichen eine schwarze Fledermaus war. Sie prangte als überlebensgroße Leuchtfigur auf dem Dach des Bürogebäudes neben dem Präsidium, und wenn er hier aus dem Auto stieg, hatte Danowski manchmal das Gefühl, er müsste sich jetzt entscheiden, ob er für die Polizei oder doch lieber nebenan für Batman arbeiten wollte. Bacardi feeling, never been so easy … Genau dieser Rum hatte auch bei Finzis letztem Rückfall vor zwei Jahren eine zentrale Rolle gespielt.
Wie immer hatte Danowski das Gefühl, der Besprechungsraum sei überfüllt von Männern in T-Shirts und kurzärmeligen Hemden in hellen, aber nicht fröhlichen Tönen, mit kurzen graublonden Haaren, von vornherein ausgewaschenen, etwas zu weiten Jeans und vernünftigen, aber sportlichen schwarzen Halbschuhen. Der vorherrschende Eindruck allumfassender Zivilpolizistigkeit war überwältigend, und erst nach und nach schälten sich einzelne Untergrüppchen und Kontrastpersonen aus den etwa zwei Dutzend Beamten und Beamtinnen der Mordbereitschaften heraus: ein paar Bodybuilder, ein paar Nerds, die Nostalgiker wie Danowski, die glaubten, zur Polizeiarbeit gehörten Anzug und Krawatte, weil sie das aus den Fernsehkrimis ihrer Kindheit so kannten, und jetzt ahnten sie vage, dass sie aussahen wie die unterste Managementebene eines zweifelhaften Finanzdienstleisters.
Niemand beachtete Danowski und Finzi, als sie sich hinten im Raum an die Wand lehnen mussten, weil keine Stühle mehr frei waren. Außer ihrer Chefin.
«Sehr schön», sagte sie, fuhr sich durch die kurzen graublonden Haare und stellte sich in ihren vernünftigen, aber sportlichen schwarzen Halbschuhen hinter ihrem Resopalpult auf die Zehenspitzen, als wären Danowski und Finzi sehr weit entfernt. «Die Fachleute sind auch schon da. Um Sie kurz ins Bild zu setzen: Wir reden gerade über eine gewisse Medienhysterie, die sich anbahnt, weil das Schiff, auf dem Sie heute waren, noch immer nicht zur Ausschiffung freigegeben ist und weil sich hanebüchene Gerüchte über den Zustand des Toten in der Stadt verbreiten. Im Grunde sind wir alle nur hier, weil wir darauf warten, dass Sie uns sagen: Todesart geklärt, genügend Anzeichen für den Eintritt eines natürlichen Todes, Ende der Durchsage, alle wieder zurück an die Arbeit.»
Wie immer zwang ihn ein Raum voller Kollegen in die Knie, weil jeder einzelne Gesichtsausdruck und jede Körperhaltung ihm Geschichten erzählten, die er eigentlich nicht hören wollte, und zwar alle durcheinander und in der gleichen Lautstärke. Danowski atmete ruhig und bemühte sich, seine Augen unscharf zu stellen wie bei einem Tagtraum. Finzi räusperte sich, um ihn zu wecken.
«Wir konnten wegen Infektionsgefahr weder den Fundort noch den Leichnam in Ruhe begutachten», sagte Danowski und lauschte seiner eigenen geschäftsmäßigen Stimme. «Im Moment warten wir auf Nachrichten aus dem Tropeninstitut. Und so hanebüchen sind die Gerüchte über den Zustand des Toten leider nicht. Das Tropeninstitut hat uns inoffiziell Fotos geschickt, für die Identifizierung, und er sieht aus …» Er hielt inne. Wie hatte Carsten Lorsch eigentlich wirklich ausgesehen? Wie eine Landschaft? Wie ein Essen? Und hatte er eben wirklich «hanebüchen» gesagt?
«Als hätte er sich völlig aufgelöst», sagte Finzi. «Ich kann ja mal versuchen, die Bilder auf den Beamer zu schicken. Falls der Bluetooth hat.»
Die Chefin winkte ab. «Kommen Sie wieder, wenn Sie Dias dabeihaben, Finzi. Aber das passt zum anonymen Notruf, den die Kollegen von der Küstenwache an uns weitergeleitet haben.» Die Chefin blätterte in ihren Unterlagen und las dann mit völlig ungerührtem norddeutschem Akzent vor, als wäre Englisch eine Spielart des Plattdeutschen: «I want to report a dead man on board of the ‹Große Freiheit›. He’s been vomiting blood, he had a very high fever … Der hatte also hohes Fieber, ich übersetz das mal, hat Blut erbrochen, und die Anruferin, Anfang, Mitte zwanzig, afrikanischer oder jamaikanischer Akzent, keine Antwort auf Zwischenfragen, die Anruferin meint, sie hätte gesehen, wie die Krankheit ausbrach bei dem Mann, aber ihre Vorgesetzten hätten ihr verboten, mit jemandem darüber zu reden, ‹they want to cover it up›, es sollte also
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