Treibland
vertuscht werden, dass da jemand auf abstoßende und offenbar mysteriöse Weise gestorben ist.»
«Die Reedereien kommunizieren nicht gern, wenn an Bord eines ihrer Schiffe jemand stirbt oder gar eine Krankheit ausbricht», gab Danowski sein neues Wissen weiter. «Die Kabine des Toten habe ich noch nicht gesehen, wir waren nur auf der Krankenstation, wo er gestorben ist. Der Tote ist jedenfalls von Bord gebracht und im Tropeninstitut isoliert worden, den darf nicht mal die Gerichtsmedizin untersuchen. Wie gesagt: Ansteckungsgefahr.»
«Kaltausschiffung», sagte eine Stimme weiter vorne im Raum. Knud Behling, der Leiter eines anderen Teams von Hauptkommissaren, beugte sich vor. Er war etwas älter als Finzi, Mitte fünfzig, sah aber deutlich gesünder aus: schlank, mit kompakten Muskellandschaften unter dem engen Polohemd, angenehm gebräunt, mit einer Körperhaltung und einer Ausstrahlung, als hätte er in jeder Lebenslage einen pastellfarbenen Pullover über der Schulter, die Ärmel lässig über der Brust verschlungen. Wenn er wie jetzt ernst guckte, sah man die weißen Lachfältchen um die Augen, und Danowski fragte sich, woher Behling sie hatte, denn er hatte ihn noch nie lachen gesehen. Knud Behling wippte mit dem übergeschlagenen Bein und sah ihn erwartungsvoll an. Oder lauernd. Behling trug tatsächlich Deckschuhe wie ein Junge-Union-Vorsitzender in der Mittelstufe. Er wirkte auf ihn so norddeutsch, dass es Danowski lieber gewesen wäre, Behling hätte am Hafen Leuchtturmmodelle und Buddelschiffe an Touristen verkauft.
«Adam?», fragte Finzi halblaut und halb besorgt.
«Okay», sagte Danowski resigniert. «Was heißt Kaltausschiffung?»
«Wenn ein Toter von Bord eines Kreuzfahrtschiffes gebracht wird», erklärte Behling. «Kommt gar nicht so selten vor. Kein Wunder, bei den Passagierzahlen. Ein-, zweitausend Leute mit Durchschnittsalter über sechzig, da bleibt schon öfter was liegen.»
Die Chefin betrachtete Behling mit einem Ozean von Gleichgültigkeit. Alle wussten, dass er gern ihren Job als Dienststellenleiter gehabt hätte und ihn ihr immer noch jederzeit wegnehmen würde.
«Interessantes Schiff, übrigens», fuhr Behling mit kaltblütig unbeirrtem Wissensvermittlungsdrang fort. «Das geht gerade von einer italienischen Reederei an einen deutschen Touristikkonzern über, und die sind dabei, das alles auf Hamburg zu branden.» Er sprach es «bränden» aus. Jetzt konnte Behling auch noch Marketingdeutsch. «Die Bars an Bord heißen ‹Klabautermann› und ‹Reeperbahn› und so.»
«Interessant», gähnte die Chefin.
Kaltausschiffung, dachte Danowski. Behling hatte recht: Die meisten Passagiere waren tatsächlich eher im Rentenalter gewesen, und vielleicht waren ihm gerade deshalb die jüngeren Gesichter besonders aufgefallen, die Familien mit kleinen Kindern, die weinende Frau mit den roten Haaren. Er versuchte, sich an ihr Gesicht zu erinnern, es war wie ein Zoomen, aber die Auflösung war nicht gut genug. Kathrin Lorsch hatte auch geweint.
«Unter welcher Flagge fährt eigentlich das Schiff?», sagte Behling, ohne den Blick von Danowski zu nehmen. Finzi schob ihm sanft, aber nachdrücklich den Ellbogen in die Seite. Er sah, dass Finzi sein Smartphone außer Sicht der vorderen Reihen in Hüfthöhe so hielt, dass Danowski das Display lesen konnte. Ach, Finzi. Im Grunde war er doch sein bester Freund. Müsste man nicht mal wieder zusammen ein Bier trinken? Oder lieber: kein Bier trinken, das ging ja nicht, aber man konnte ja grillen, grillen ging auch ohne Alkohol, und Danowski merkte, dass er Hunger hatte.
Noch einmal Finzi und sein Ellbogen. Okay, der Gute hatte die Wikipedia-Seite des Schiffes aufgerufen und Danowski sah die Flagge von Panama, die er gleich erkannte, weil darunter «Flagge von Panama» stand.
«Panama», sagte er in den Raum.
«Der Tote ist deutscher Staatsbürger und außerdem Hamburger, da hätte die Presse wenig bis gar kein Verständnis, wenn wir drei bis vier Tage auf das Eintreffen eines Ermittlerteams aus Panama warten», sagte die Chefin in ihrem Können-wir-das-hier-mal-beschleunigen-Tonfall.
«Ach so, Sie brauchen ein Ermittlerteam», sagte Moritz Kienbaum, ein scheinbar verschmitzter Jungstar aus Behlings Mordbereitschaft, der zu seinen schulterlangen Haaren eine offenbar sehr weiche, schokoladenpuddingfarbene Wildlederjacke trug, «und ich dachte, Sie hätten die Sache Dano und Finzi übertragen.»
Mehr Kichern, zustimmend Richtung «Hört, hört!»,
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