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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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hochgezogene Augenbrauen bei Behling. Eine Handbewegung von Kienbaum, die signalisieren sollte: Nee, is klar, war ein bisschen piksig, aber man wird ja wohl noch mal einen Spruch raushauen dürfen, ne?
    Dieses «ne?» machte Danowski wahnsinnig, erst recht, wenn es nur gemimikt wurde. Seine beiden Team-Kollegen Molkenbur und Kalutza, die wie Finzi und er für Langzeitvermisste, unbekannte Tote und den Ausschluss von Fremdverschulden zuständig waren und direkt der Dienststellenleiterin unterstanden, und die wegen ihres Hauptkundenkreises und ihrer Nähe zum Rentenalter von den anderen «die Omis» genannt wurden, wiegten kritisch die Köpfe. Instinktiv suchte Danowski den Blick einer freundlichen Person im Raum, fand aber nur die hellbraunen Augen von Meta Jurkschat aus Behlings Team, die desinteressiert an ihm vorbeischauten, als würde hinter ihm etwas an die Wand projiziert, was aufschlussreicher war als er. Unwillkürlich drehte sich Danowski um, aber an der Wand hing nur die vergilbte Karte mit der Kuhfladenform von Hamburg.
    «Okay, für alle, die zu spät gekommen sind, fassen wir das noch mal zusammen», sagte die Chefin. «Der Tote heißt Carsten Lorsch, war Spirituosen-Importeur, und alles, was wir bisher über ihn wissen, ist nicht besonders überraschend: ein paar Steuer- und Zollprobleme in den letzten fünf bis zehn Jahren, aber nichts Ernstes. Woran er gestorben ist, das untersuchen gerade die Kolleginnen und Kollegen vom Tropeninstitut. Nach dem ersten Augenschein ist von einem seltenen und vermutlich ansteckenden Virus auszugehen, deshalb steht das Schiff ‹Große Freiheit› derzeit unter vorläufiger Quarantäne. Eine endgültige Entscheidung darüber wird morgen gefällt, wenn das Tropeninstitut den Krankheitserreger identifiziert hat.
Hoffentlich
identifiziert hat, sagen wir mal lieber. Da es sich bei der ‹Großen Freiheit› um ein sogenanntes sehr großes Kreuzfahrtschiff mit etwa fünfzehnhundert Passagieren und fast fünfhundert Besatzungsmitgliedern handelt, kommt auf die Stadt und dadurch auf uns ein gewisses logistisches Problem zu: Bereits jetzt ist das Medieninteresse außerordentlich groß, und falls eine reguläre Quarantäne verhängt werden sollte, können wir uns auf eine Hysterie einstellen.»
    «Wie lange dauert denn so eine Quarantäne?», fragte Meta Jurkschat, die immer das aussprach, was alle sich fragten. Sodass alle so tun konnten, als wäre ihnen die Antwort längst klar gewesen, sie aber insgeheim für ihre Unverkrampftheit bewunderten.
    «Das hängt vom Erreger und von der Inkubationszeit ab. Vermutlich zwei bis drei Wochen.»
    Bei der Aussicht, zwei bis drei Wochen eine unübersichtliche und von der Tendenz her eher aufgeregte Situation am Hafen bewachen und kontrollieren zu müssen, ging ein vielstimmiges zynisches Stöhnen durch den Raum.
    «Wobei man ganz klar sagen kann: Sobald wir ein Fremdverschulden ausschließen können, geht uns das Ganze nichts mehr an, und wir können den Wahnsinn am Fernseher verfolgen wie jeder andere vernünftige Mensch.»
    «Kommen wir an die Mobilfunkdaten des Toten?», fragte Meta Jurkschat, aber bevor Behling die Frage beantworten konnte, sagte die Chefin: «Unwahrscheinlich. Auf See laufen alle Mobilfunktelefonate über den Schiffsfunk und über Satellit, da gehen alle Telefonate über dieselben Knotenpunkte mit der gleichen Schiffsnummer.»
    Danowski liebte es, seiner Chefin zuzuhören: Sie kam aus Ostholstein und hatte den flachen, aber rollenden Tonfall der Landschaft dort. Ihre Stimme wurde von Jahr zu Jahr tiefer, und während er ihr zuhörte, fühlte er sich zurückversetzt in die langen Schultage in den achtziger Jahren, wenn in der fünften, sechsten und siebten Stunde das Licht schräg durch die hohen Fenster seiner Schule und die dichten Linden davor fiel und er beim Blick auf die dunkelgrüne Tischplatte und beim Versuch, irgendwie wach zu bleiben, in eine Art Trancezustand geriet.
    «Ergreifen Sie jede Möglichkeit, Danowski», sagte seine Chefin, und er war erschrocken, seinen Namen zu hören. Er fand, sein Name sah so kurz aus und hatte dann irgendwie doch immer zu viele Silben, wenn jemand ihn aussprach. Ergreifen Sie jede Möglichkeit. Es klang wie ein Ratschlag fürs ganze Leben.
    «Klar», sagte er vage.
    «Sobald der Fundort vom Tropeninstitut freigegeben ist, gehen Sie an Bord, halten sich dort aber bitte nicht allzu lange auf. Sofern sich Ihnen nicht aufdrängt, dass ein Tötungsdelikt vorliegt, schreiben Sie

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