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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Schritten, die sie mühevoller aussehen ließ, als sie waren, ging sie zum Schuppen zurück. Es waren noch genug leere Flaschen zum Abfüllen im Holzregal neben dem Stromzähler. In der Mitte des Raumes stand die alte Ölpresse aus dunklem Stahl, von der die blaue Farbe fast überall abgeplatzt war. Der nachträglich angebrachte Elektromotor war ihr nie eine große Hilfe gewesen. Sie forderte sich selbst innerlich dazu auf, ihn in Zukunft hin und wieder laufen zu lassen, auch wenn sie die Presse nie wieder wirklich benutzen würde. Damit niemand das Geräusch vermisste.
    Die Senyora war selbst überrascht, wie sehr die bäuerliche Arbeit ihr auf die Nerven ging: das Zurückschneiden der Olivenbäume, die Ernte der Früchte, das mühsame Betreiben der fünfzig Jahre alten Presse. Es war alles sinnlos, so viele Handgriffe für so wenig Ertrag.
    Auch ihre Arbeit war aufwendig, auch ihre Arbeit erforderte Hunderte, wenn nicht Tausende von Handgriffen. Und der Ertrag erschöpfte sich in der Veränderung eines Sekundenbruchteils. Aber der Sinn hallte nach, in ihr und in der Welt. Kleinen, übellaunigen Früchten ein Öl abzupressen, das man ihnen von außen nicht einmal ansah, so gut verbargen sie es – das war Arbeit, die fast von Respektlosigkeit zeugte vor der eigenen Zeit. Einem Menschen jedoch das Leben abzupressen – das war eine Arbeit, bei der es respektlos gewesen wäre, wenn man sie nicht mit der größtmöglichen Sorgfalt und Ausführlichkeit vorbereitet hätte. Und Warten und Schlafen gehörte zur Vorbereitung.
    Vielleicht, dachte die Senyora, ist die alte Presse doch noch zu etwas nütze. In ihrer sperrigen Humorlosigkeit wäre sie das ideale Waffenversteck: ein kleiner Aushub unter der Auffangwanne, Öltuch, darin eine schöne alte Z- 45 aus ihrer Sammlung, geölter Stahl so braun, dass man nicht wusste, wo der hölzerne Handgriff aufhörte und wo der Lauf anfing. Dazu eine weniger nostalgische MP 5 als leichte Verneigung vor den Nachbarn, die es vielleicht bevorzugen würden, von einer in Deutschland gefertigten Maschinenpistole zurückverwandelt zu werden in Fleisch und Blut.
    Die Senyora wandte sich ab und lächelte auf die gleiche zusammengedrückte Art, mit der sie jedem und allem begegnete, egal, ob es ein Nachbar, ihr Spiegelbild oder die Erinnerung daran war, dass sie ihre Waffensammlung längst aufgelöst hatte. Niemand brauchte heute noch Waffenverstecke. Der Anruf würde kommen, und an dem Ort und zu der Zeit, die man ihr mitteilen würde, würde sie alles finden oder sich alles verschaffen können, was sie für die Arbeit brauchte. Meist reichte ein Messer. Eine Spritze mit Luft. Ein Silikonschlauch, wie man ihn für wenige Euro in jedem Baumarkt bekam. Oder wie der, der hinten an ihrer alten, ungeliebten Presse hing und durch den das gepresste Öl in die Flasche lief. Sie bedauerte, dass er zu verschlissen war, um ihn einmal für etwas wirklich Nützliches zu verwenden: einen Menschen zu töten.

9 . Kapitel
    Er riss die Augen auf und stellte sich den Klassiker aller Fragen: Wo bin ich?, und dann seine eigene Spezialität: Was ist das für ein Rauschen wie tief unter Wasser? Am Ende wohl eine Mischung aus
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, dem Blut in seinen Ohren und Finzis fortlaufenden Kommentaren zum Fahrstil der anderen Verkehrsteilnehmer. Das auseinanderzufriemeln fühlte sich an wie auftauchen. Seine Kinder sagten klamüsern.
    Kleiner Filmriss, dachte Danowski, Festplatte voll. Zugriffsrechte reparieren? « OK »? An «Abbrechen» war leider nicht zu denken.
    Von seinen zwei oder drei Hubschraubereinsätzen wusste er, dass das Gebäude des Polizeipräsidiums von oben aussah wie eine Sonne, die ein depressives Kind gemalt hatte: ein grauer Kreis und zehn breite graue Streifen in alle Himmelsrichtungen, gleichmäßig und symmetrisch. Weil der Parkplatz hinter den unverblümt nationalsozialistischen Rotklinkergebäuden der Bereitschaftspolizei lag und man von dort fast hundert Meter laufen musste, stellte Finzi den BMW direkt vor dem Eingang zum Präsidium auf einen Besucherplatz. Von hier aus wirkte das Polizeigebäude erdrückend und ausgreifend, mit Fenstern, von denen man dank der Strahlenform der Gebäudetrakte scheinbar in alle Richtungen die Stadt blicken konnte. In Wahrheit jedoch lag das Präsidium an der Peripherie, fast am Stadtrand, in der langweiligsten Gegend Hamburgs, am Arsch der Welt, vor allem von Altona aus gesehen. Und wer hinter seinen Fenstern saß, schaute nicht nach draußen, sondern nach

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