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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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leuchtenden Gelb angelaufen, das fast Richtung Gold ging. Direkt unter der Haut hatten sich sternförmige dunkelrote bis schwarze Blutergüsse gebildet, die durch ihre selbstbewusste Gezacktheit feierlich und triumphierend aussahen. Sie verwirrten das Auge, weil normalerweise das Dunkle im Gesicht eines Menschen die Schatten waren, Iris, Augenbrauen und die Körperöffnungen. Hier verschwanden all diese vertrauten Züge hinter den Blutergüssen. Die Nase und der Mund schienen ineinander überzugehen, weil aus beiden Öffnungen schwarzes Blut über die goldene Haut gelaufen war. Auch die Zähne waren schwarz von Blut. Die Augen leuchteten rot mit einem gelben Ring um die Iris. Das wirklich Fremde aber war die Haltung des Gesichts: Es schien in sich zusammengesackt wie bei einem Menschen, der eine schlechte Nachricht erhalten hat, es war nach unten gerutscht. Eine Maske, die, wie sich im Tod herausstellte, viel weniger sorgfältig und fest mit dem darunter liegenden Gewebe und den Knochen verbunden gewesen war, als der Verkleidete gehofft hatte.
    Danowski schob mit dem Daumen das Bild weg, als könnte das nächste angenehmer sein: eine Profilaufnahme aus etwas größerer Distanz, man sah, dass der Körper lag und dass Lorschs nackte Schultern von ähnlichen Mustern überzogen waren. Auch aus seinen Ohren war schwarze Flüssigkeit gelaufen, und jetzt, von der Seite, sah es vollends so aus, als wäre ihm das Gesicht zwei oder drei Zentimeter nach unten gerutscht. Der Tote sah wütend aus. Die hellblauen Laken waren bis zum Bildrand mit einer schwarzen Flüssigkeit bedeckt, die er den Spuren an seinem Kinn zufolge offenbar erbrochen hatte und die aussah, als wäre er schon vor seinem Tod innerlich verwest gewesen.
    Schweigend gab Danowski Finzi das Telefon zurück.
    «Ist das Ihr Mann?», fragte er. «Carsten Lorsch?» Sie nickte. Er traf ihren Blick, und etwas hinderte ihn daran, wegzuschauen.
    «Was ist das?», wiederholte Kathrin Lorsch.
     
    Als sie wieder draußen waren, sagte Finzi düster und allumfassend: «Was war das denn für eine Scheiße.» Und es war nicht klar, ob er damit die Fotos von Carsten Lorsch, Danowskis lange Abwesenheit auf der Toilette oder den Verlauf seines bisherigen Lebens meinte.
    «Keine Ahnung», antwortete Danowski, was in diesem Fall auf alles passte. In einem früheren Leben hätten sie jetzt eine geraucht. So standen sie einfach einen Moment herum. Es war gesünder, aber Danowski fand, es war kein Fortschritt.
    Er hatte sechs Anrufe auf seinem Telefon. Von Leslie, aus der Rechtsmedizin, das Tropeninstitut und drei Anrufe von seiner Chefin. Eigentlich gehörte es zu den guten Seiten seines Berufs, dass man ganze Stunden verschwinden lassen konnte: Niemand wusste, wie lange ein Besuch bei einer Angehörigen dauerte. Niemand konnte genau sagen, wie schlecht der Verkehr von hier nach Alsterdorf ins Präsidium war. An einem guten Tag hätte er deshalb Finzi vorgeschlagen, zwei Straßen weiter in den Jenischpark zu gehen und sich dort ein halbes Stündchen oder vielleicht auch ein ganzes in die Sonne zu legen. Solange in keiner der fünf anderen Mordbereitschaften ein Platz frei wurde, um den er sich hätte bemühen können, war Finzi für derlei Saumseligkeiten immer zu haben. Aber heute schien kein guter Tag zu sein, und Danowski musste nicht seine Nachrichten abhören, um zu wissen, dass sie sich dringend auf den Rückweg machen mussten.
    Finzi nahm sein Telefon vom Ohr, er war schneller und hatte längst gehört, was die Chefin zu sagen hatte.
    «Lagebesprechung», sagte er. «Das schaffen wir nur rechtzeitig, wenn ich fahre.»
    Danowski warf ihm ungeschickt den Schlüssel zu und registrierte, wie sie beide vorm Einsteigen kurz mit dem rechten Fuß über den Boden scharrten, um die unsichtbare, ungerauchte und daher absolut unbefriedigende Zigarette auszutreten, die ihre kurze Pause markiert hatte.

8 . Kapitel
    Die Senyora schlief. Sie stand zwar am Rande ihres Olivenhains, rauchte eine rote Fortuna und betrachtete mit tiefer Gleichgültigkeit das neue Windrad ihrer Nachbarn, aber: sie schlief.
    Dormo.
    Dormo profundament.
    An Tagen wie heute, wenn der Himmel so hoch und klar war, dass sie in der Ferne die Serra de Tramuntana zu sehen meinte, wenn kein Wind durch die Pinien ging und die Deutschen am Strand lagen, wenn alles still und bewegungslos war, merkte sie, dass sie anfing, sich zu langweilen. Und dann musste sie sich, manchmal mit jedem Schritt, immer wieder selber sagen: Ich

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