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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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gibt oder Sie aus anderen Gründen abbrechen möchten, machen Sie dieses Zeichen.» Sie fuhr mit der flachen Hand an ihrem Hals hin und her. «Dann beginnen wir mit der Ausstiegssequenz.»
    Danowski hielt inne und sah sich um. Der Flur vor der Kabine von Carsten Lorsch war ohnehin schmal, man hätte auch ohne Raumanzüge nicht bequem nebeneinander gehen können. Dadurch, dass die Wände, die Decken und der Fußboden mit Folie abgeklebt waren, die alle drei Meter von Kunststoffstangen gestützt wurde, war dieser Gang an Bord des Schiffes noch enger. Im Moment standen sie im zweiten Teil der Schleuse, den sie in Unterwäsche betreten hatten, weil hier nur noch Schutzanzüge und dekontaminiertes Material erlaubt waren. Im ersten Teil der Schleuse hatten sie sich nebeneinander ausgezogen. Anfangs war es Danowski unangenehm gewesen, aber dann fühlte der ganze Vorgang sich eher medizinisch an als unangemessen intim. Er registrierte nur und war erstaunt, dass Schelzig unter ihrem geschäftsmäßig neutralen Task-Force-Hosenanzug ein weites graues T-Shirt trug, auf dessen Rücken, als sie sich vornübergebeugt von ihm abgewandt hatte, ein mittelalterliches Wappen prangte: ein geduckter roter Löwe über einem gedrungenen weißen Kreuz auf blauem Grund. Er hatte sich gefragt, ob sie Fantasy-Rollenspielerin war oder in ihrer Freizeit an Mittelalter-Festen teilnahm. Es hätte zu dem Klischee gepasst, das er von Wissenschaftlern hatte.
    Jetzt, wo sie hier standen, war alles hell und makellos, und es sah aus, als wären sie gekommen, um im Himmel zu renovieren. Sie hatten eine Dreiviertelstunde, nicht um Spuren zu sichern, sondern nur um ein paar Fotos zu machen. Vielleicht Carsten Lorschs Aktentasche zu finden oder irgendetwas anderes, das erklärte, wen er auf der Kreuzfahrt getroffen, womit er seine Zeit verbracht und wie er sich angesteckt hatte. Mit einem Virus, von dem Tülin Schelzig heute Morgen offiziell bekanntgegeben hatte, dass es ein enger Verwandter des Marburg- und des Ebolavirus war. «Ein hochaggressives Virus», hatte sie in die um professionelle Distanz bemühten Task-Force-Gesichter gesagt, «aber kein besonders intelligentes. Kurze Inkubationszeit und – nach dem Krankheitsverlauf im Fall Lorsch zu schließen – offenbar mit hoher Mortalität. Geschickte Viren töten ihren Wirt nicht oder nur sehr langsam. Viren, die ihren Wirt töten, müssen sehr aggressiv sein, damit sie schnell einen neuen Wirt finden, während der alte stirbt. Ich vermute, wir werden innerhalb der nächsten ein, zwei Tage weitere Fälle an Bord der ‹Großen Freiheit› beobachten können.» Es hatte wie ein Versprechen geklungen. Durch den Raum war ein offizielles Stöhnen gegangen. Seit heute Morgen stand fest, dass sie es mit einer unbeherrschbaren Situation zu tun hatten. «Eine Katastrophe», hatte der Assistent des Bürgermeisters gesagt, und zum ersten Mal hörte es sich so an, als meinte er möglicherweise mehr als nur die Public-Relations-Aspekte der Vorgänge an Bord der «Großen Freiheit».
    Tülin Schelzig hatte bei dem Wort «Katastrophe» das Gesicht verzogen, und für einen Moment hatte er in ihren Zügen die Nacht gesehen, die sie über dem Elektronenmikroskop verbracht hatte.
    «Bereit?», fragte sie jetzt, als sie das Kopfteil seines Anzugs schon in den Händen hatte und unmittelbar vor ihm stand. Er nickte. «Atmen Sie bitte nicht, während der Anzug sich mit Luft füllt. Es dauert etwa eine Minute, bis Sie wieder ganz normal Luft kriegen.»
    «Danke, dass Sie mir das jetzt schon sagen.»
    «Haben Sie Probleme, mal die Luft anzuhalten?»
    «Nicht mehr als Sie.»
    Dann setzte sie ihm das Kopfteil auf und schloss die Verbindung mit dem Rest des Anzugs. Das Sichtfenster war etwa drei Hand breit, aber nicht unbegrenzt, und Danowski erschrak, weil er nicht damit gerechnet hatte, so wenig sehen zu können. Er wollte scharf Luft holen, aber dann fiel ihm ein, dass noch keine da war. Um zur Seite zu blicken, musste er den ganzen Oberkörper drehen. Er schloss die Augen. Der Anzug roch nach Desinfektionsmitteln und Kunststoff, nach einem Raum, in dem die Dinge ernst, aber unter Kontrolle waren. Die Luftpumpe machte ihr kleines elektrisches Geräusch, tapfer, unbeirrbar, aber überraschend dünn, man wollte nicht unbedingt sein Leben oder sein Wohlbefinden auf dieses Geräusch verwetten. Dann konnte er atmen. Er sah, dass Tülin Schelzig sich von einem Kollegen abkleben ließ, und als sie fertig war, fragte sie, ob er sie

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