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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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erwarteten die asiatischen oder europäischen Kollegen, dass Maurizios Abteilung selber Ermittler in welchen weit entfernten Hafen auch immer schickte, nach Yokohama oder Hamburg. Und das Enervierende war, dass Maurizios Chef bei Anfragen, die Kapitalverbrechen betrafen, tatsächlich immer so tat, als wäre dies eine Option: Mit großer Geste studierte er die angeforderten Übersetzungen der Vorermittlungsakten, hielt Vorträge, machte sich wichtig, holte Gutachten ein, machte sich also noch wichtiger, um dann am Ende doch Maurizio eine Rechteabtretung vorformulieren zu lassen, die dieser auf kompliziertem Wege von der Staatsanwaltschaft absegnen lassen musste. Und wenn jemand ein noch größeres Talent dafür hatte, sich wichtig zu machen, als Maurizios Chef, dann war es der Staatsanwalt der Provinz Panamá. Weshalb Maurizio jede Gelegenheit nutzte, um derartige Anfragen aus dem Ausland auf einen seiner Kollegen abzuwälzen.
    Hier zum Beispiel, ein Antrag auf Unterstützung beziehungsweise Rechteabtretung aus Hamburg, Deutschland: die auf Englisch einigermaßen, auf Spanisch leidlich verständliche Schilderung der Sachlage bot aus Maurizios Sicht viel zu viele Ansatzpunkte sowohl für seinen Chef, den Staatsanwalt, als am Ende womöglich auch noch die Gesundheitsministerin, um sich wichtig zu machen und ihm das Leben zu erschweren. Darum hatte er bisher nur eine unverbindliche Standardantwort nach Hamburg geschickt, in der nur in vielen Worten stand, dass die Bearbeitung ihres Anliegens
en progreso
sei.
Se presentará
, wird nachgereicht.
    Maurizio beugte sich vor, nahm das Fax aus Hamburg und drückte seine Zigarette unter der Schreibtischplatte seines Sitznachbarn aus. Der war ein pedantischer, aber langsamer Polizist und nebenbei alles andere als gewerkschaftsnah: also derzeit in Colón und im Übrigen kein Freund von ihm. Maurizio schob das Fax aus Hamburg und die Kopie seiner
en progreso
-Antwort in den mittleren Bereich des Papierstapels, der im Eingangskorb des Kollegen lag. Dann lehnte er sich wieder zurück und dachte: Das kann zwar dauern, aber die Deutschen werden schon klarkommen. Er schloss die Augen, lehnte den Kopf nach hinten und spürte, dass er anfing, sich auf seine vierte Zigarette zu freuen.

14 . Kapitel
    «Sind Sie klaustrophobisch veranlagt?»
    «Wie bitte?»
    «Haben Sie Angst in engen Räumen, Angst, eingesperrt zu sein, Angst, sich nicht mehr bewegen zu können? Hier, warten Sie, ich zeige Ihnen, wie das mit den Stiefeln geht.»
    «Ich weiß, was klaustrophobisch ist. Normalerweise vermeide ich solche Situationen.»
    «Sie sind noch nie in einem Fahrstuhl stecken geblieben?»
    «Nein. Und bevor Sie weiterfragen: Ich war auch noch nie lebendig begraben.»
    Er sah von oben auf Tülin Schelzigs Kopf, wie sie kurz die Haare schüttelte, als dachte sie: Noch nicht. Dann blickte sie auf, und die ungewohnte Perspektive war ihm unangenehm: eine so gut wie fremde Frau, die auf dem Boden kniete und ihm beim Anziehen half.
    «Es gibt Menschen, die den Anzug nicht ertragen. Auch erfahrene Kollegen. Es kann sein, dass Sie ihn plötzlich nicht als Schutzanzug empfinden, als relativ schweres und aufwendiges Kleidungsstück, sondern als sehr, sehr enges Gefängnis.» Sie stand auf, weil sie mit den Stiefeln fertig war, und zog ihm in der gleichen Bewegung den hellgelben Anzug über die Schultern. Dann trat sie einen Schritt zurück und musterte ihn.
    «Wenn Sie mit den Handschuhen fertig sind und wir Sie gut verklebt haben, setze ich Ihnen die Kapuze auf und verschließe das Kopfteil. Danach werde ich das Atemgerät einschalten. Der Anzug füllt sich mit Luft, die ständig erneuert wird. Sie reicht etwa für eine Stunde.»
    Die Handschuhe waren rot, leichter als Skihandschuhe, aber mit vergleichbar dicken Fingern: Er konnte sich nicht vorstellen, mit ihnen etwas aufzuheben, das kleiner war als ein Hammer, geschweige denn irgendeine Art von Spuren zu sichern.
    «Können Sie den Fotoapparat anmachen?», bat er.
    Sie nickte und drückte ihm die kleine Digitalkamera in die Hand.
    «Für den unwahrscheinlichen Fall, dass da drinnen etwas Unvorhergesehenes passiert oder Sie wider Erwarten doch in Panik geraten sollten …», fing sie an.
    «Schon gut», sagte er. «Ich reiß mich zusammen.»
    «Im Ernst. Es ist wichtig, dass Sie nicht versuchen, rauszustürmen oder sich in einem Anfall von Panik den Anzug an Ort und Stelle vom Körper zu reißen. Falls es Probleme mit Ihrem Atemgerät oder der Sprechverbindung

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