Treibland
Er legte die rechte Hand an seine Dienstwaffe, streckte den linken Arm abwehrend aus und rief ein aggressives, aber völlig ineffektives «Hey!». Mehr Zeit blieb nicht, denn jetzt war der andere da, und aus einem Augenwinkel sah Danowski, dass Jurkschat sich schneller entschieden und ihre Dienstwaffe gezogen hatte. Er hörte, wie sie etwas Offizielles, aber nicht weniger Ineffektives brüllte, und er sah, dass Behling und Kienbaum auf beiden Seiten an ihr vorbeirannten. Der fliehende Passagier hatte etwa zwanzig Meter gehabt, um Geschwindigkeit aufzunehmen, er war in vollem Sprinttempo, als Danowski sich ihm in einer halben Körperdrehung mit der rechten Schulter in den Weg stellte. In dem Augenblick, als sie aufeinanderprallten, sah Danowski das konzentrierte Gesicht des anderen so nah vor sich, als hätten sie absichtlich die Köpfe zusammengesteckt: ein Mann, der einen Plan und in den Augenwinkeln Schlaf hatte. Der für einen Moment fast neonfarbene Geruch eines starken Rasierwassers umgab ihn wie eine Aura und reiste ihm einen knappen Meter voraus: ein seltsam überpflegter Achtziger-Jahre-Geruch, eine Mischung aus Energydrink, Scheibenwischwasserfrostschutzmittel und «Campino»-Bonbons. Der Ausbrecher war immerhin so schwer, dass er Danowski ein oder zwei Meter nach hinten schleuderte, außer Reichweite der heraneilenden Kollegen.
Als Danowski mit dem Rücken auf den Parkplatz schlug, schwand ihm die Luft aus dem Körper, und sein Versuch einzuatmen fühlte sich an, als halte ihm jemand mit aller Kraft den Mund zu. Er krallte seine Finger in die Funktionsjacke des anderen, der ihn beim Aufstehen einige Meter über den Asphalt schleifte. Danowski meinte, eine abschreckende Mischung aus Zahnschmelz, Blut und Asphalt zu schmecken, aber nur kurz, denn alles, was ihn ausfüllte, war eine unbezwingbare Wut darüber, dass der flüchtende Passagier nicht stehen blieb und kurz davor war, ihn erfolgreich abzuschütteln. Bevor Behling und die anderen hinzukommen konnten, kam Danowski auf die Beine, schwang sich auf den Rücken des Passagiers wie auf ein Reittier und zwang ihn zu Boden, indem er ihm von schräg hinten den Ellenbogen mehrfach mit mehr Kraft, als er sich in diesem Moment zugetraut hätte, seitlich in die Nieren rammte. Die Geschwindigkeit und vielleicht auch der Wille zur Flucht wichen aus dem Mann. Als er zu Boden ging, war Danowski auf ihm und spürte, wie Blut über sein eigenes Kinn lief. Während der andere versuchte, ihm seine Hände zu entziehen, wünschte Danowski sich, all das würde jetzt aufhören, zu viel Nähe, zu viel Körper. Gleichzeitig spürte er eine Erleichterung, weil es endlich nur noch eins gab: diesen Kampf, diesen Moment, keine Unklarheiten, keine offenen Fragen. Dann die Erkenntnis: Er musste das hier gewinnen. Vor sich selbst und den Kollegen. Warum, hätte er vorher oder nachher nicht erklären können, und jetzt interessierte ihn die Frage nicht. Er merkte, wie die anderen sich in einer Art Kreis um ihn und den Passagier stellten, Behling, Kienbaum, Jurkschat und ein paar Bundespolizisten. Vielleicht, weil sie das noch so vom Schulhof kannten; eher, weil sie die unschöne Szene abschirmen wollten vor den anderen Passagieren und vor den Journalisten, die mit ihren Kameras und Mikrophonen am Zaun standen. In Danowskis Ohren toste die Welt. Vielleicht war es auch nur sein Blut oder die Wut derer, die an der Reling standen. Behling und Jurkschat versuchten, sich rechts und links auf die Schultern und Oberarme des Mannes zu knien. Es machte Danowski wahnsinnig, dass der andere nicht einfach seine Hände stillhalten konnte. Merkte er nicht, dass diese Episode vorüber war? Warum versuchte er noch, sich zu befreien?
Als der Mann ihm ins Gesicht fasste, riss etwas in Danowski. Er spürte, wie er eine Verbindung verlor. Er wollte nur noch, dass es aufhörte: die Hände des anderen in seinem Gesicht, die Bewegungen seines schweren Körpers unter seinem Unterleib. Danowski holte aus, bis er kurz mit dem Ellbogen an Kienbaums Knie stieß, der halbherzig versuchte, ihn herunterzuziehen, und dann schlug Danowski dem Mann am Boden mit der Faust ins Gesicht. Einmal ungezielt, Landepunkt irgendwo zwischen Oberkiefer und Nase, dann noch einmal, mit einem Grunzen, seitlich aufs Kinn, sodass es ihm weh tat, wie wenn man aus Versehen gegen eine Tischkante haut. Die Bewegungen seines Gegners hörten auf, sobald er sich auf seinen Schmerz konzentrieren musste. Danowski merkte, wie die Spannung in
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