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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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hören könne. Er nickte, weil er seine Stimme in dieser kleinen, engen Welt nicht hören wollte.
    «Ich kann nicht sehen, wenn Sie nicken», sagte Schelzig. «Das heißt, ich habe es jetzt gesehen, aber im Prinzip kann ich es nicht sehen. Es ist wichtig, dass Sie meine Fragen verbal beantworten.»
    Danowski seufzte. «So mit roger und over und out und so? Es ist lange her, dass ich eine Einweisung in Funkdisziplin hatte.» Seine Stimme klang kindlich in der Enge, darum hörte er zu sprechen auf.
    Dann folgte er ihr durch zwei mit gegenläufigen Reißverschlüssen gesicherte Kunststoffluken in der Folienverkleidung. Ein Mitarbeiter im Schutzanzug half ihnen beim Durchstieg, und für einen Augenblick gab es ein kleines Gedrängel auf engstem Raum. Danowski nahm sich vor, niemals eine Raumstation zu betreten.
    Nachdem sie eine weitere Schleuse hinter sich gelassen hatten, standen sie vor der Kabine von Carsten Lorsch. Der Rest des Ganges war ebenfalls abgesperrt und komplett verklebt. Tülin Schelzig trat einen Schritt beiseite.
    «Nach Ihnen. Ab hier machen Sie, was Sie für nötig halten. Ich halte mich im Hintergrund.»
    Danowski stand vor der Kabinentür. Deck  10 , wo die Kabinen waren, die einen kleinen Balkon hatten. Nummer  10117 . Der Schweiß lief ihm in die Augen, und er stellte fest, dass er sich über alles mögliche Gedanken gemacht hatte, Nagelfetische, afrikanische Totenrituale, den Landwirtschafts-Simulator 2013 und vor allem seinen apokalyptischen Gewaltausbruch gestern, aber nicht darüber, wie er hier in die Kabine kommen würde. Normalerweise standen an seinen Tatorten Beamte der Schutzpolizei oder vom Kriminaldauerdienst, die alles gesichert und vorbereitet hatten, und wenn nicht, dann rief er einen Schlüsseldienst und legte achtzig oder neunzig Euro aus.
    Um Tülin Schelzig über die Schulter anzublicken, musste er seinen ganzen Körper drehen. Die aseptische Anzugluft vermischte sich mit seinem Schweiß. Er sah, wie sie übertrieben die Augenbrauen hob, stummfilmartig, damit er es durch das Sichtfenster ihres Schutzanzugs sehen konnte. Die Kabinentür war mit einem gängigen Hoteltürschloss gesichert, für das man eine Codekarte brauchte. Die Tatsache, dass er sich darum nicht gekümmert hatte, zeigte, wie wenig er darauf brannte, an einem Virenherd zu ermitteln.
    «Ich bin so ein Idiot», sagte er, «ich habe die Karte vergessen.»
    Tülin Schelzig streckte den Arm aus, in der Hand eine weiße Codekarte mit blauer Schrift, und sie sah so sehr wie eine Astronautin aus, dass Danowski fast erwartete, die Karte würde, nachdem Schelzig sie losgelassen hatte, schwerelos auf ihn zuschweben. Zum ersten Mal grinste Schelzig und gab ihm die Karte.
    «Jetzt verstehe ich auch, warum Sie hier sind», sagte er und öffnete die Tür zur Kabine. Es war seltsam, nichts riechen zu können von der Welt, die ihn umgab; normalerweise orientierte er sich in einer neuen Umgebung zuerst mit seinem Geruchssinn, aber das fiel ihm erst jetzt auf. Alles, was er roch, waren der Anzug, er selbst und dass er schlecht geschlafen hatte.
    «Vorschrift», sagte Tülin Schelzig, und es verwirrte ihn kurz, dass ihre Stimme immer aus derselben Richtung kam, obwohl sie hinter ihm ging und sich jetzt, wie er im Umdrehen sah, neben der Kabinentür an die Wand lehnte. «Und denken Sie dran, Sie dürfen nichts mitnehmen.»
    «Alles kontaminiert?»
    «Nicht unbedingt. Das Virus braucht organisches Material, um sich zu reproduzieren und weiter zu existieren, aber jeden Gegenstand, den Sie von Bord mitnehmen, müssten wir erst mal im Labor auf organische Rückstände untersuchen und freigeben, und dafür haben wir, vorsichtig ausgedrückt, nicht die Zeit.»
    «Vorsichtig ausgedrückt? Wie würden Sie das unvorsichtig ausdrücken?»
    «Ich bin von der Gesundheitsbehörde aufgefordert, auf Sie aufzupassen, dabei wäre mein Platz eigentlich im Labor und im Krisenmanagement.»
    «Auf mich aufzupassen gilt gemeinhin als eine Art Krisenmanagement», sagte Danowski und sah sich in der Kabine um.
    «Cool», sagte Schelzig mit einer Trockenheit, die durch den Keksdosen-Sound der kleinen Lautsprecher praktisch adstringierend wirkte.
    Die Außenkabine, die Carsten Lorsch für sich und seine Frau gebucht hatte, war etwa zwanzig Quadratmeter groß, nicht geräumig, aber überraschend luftig nach der Enge der Schiffsgänge. Ein blaugelb gemusterter Teppich, zwei Betten mit Überdecken in passenden Tönen, nicht als Doppelbett arrangiert, sondern

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