Treibland
seinem eigenen Körper sich löste und wieder Luft in ihn strömte. Er ließ sich von Behling und Kienbaum nach oben ziehen und dachte, dass beide warme und geübte Hände hatten. Jurkschat gab ihm ein Taschentuch, während zwei Bundespolizisten den Passagier zurück Richtung Schiff führten. Als er sich noch einmal wehrte, traten sie ihm die Beine weg, um ihn zu schleifen. Danowski merkte, dass ihm das nicht gefiel, aber er wusste, dass er damit angefangen hatte.
«Was mich angeht, ist das nicht passiert», sagte Behling mit einem Anflug von Anerkennung, der Danowski anwiderte und freute zugleich. «Zumindest nicht der letzte Teil.»
Beim Abendbrot beugte er sich weit nach vorn in die Gesichter seiner Kinder, weil er nichts von ihnen verpassen wollte. Außerdem tat ihm der Rücken weh, unten, wo er auf den Parkplatz geknallt war. Leslie trank Tee und betrachtete ihn nachdenklich.
«Und was habt ihr dann gemacht?», fragte Danowski.
«Mit Mona gespielt. Mama musste arbeiten», sagte Stella.
«Ich dachte, ihr habt euch mit Mona gestritten.»
«Ja. Gestern. Aber man kann so gut mit ihr spielen.»
«Und was habt ihr gespielt?»
Stella und Martha warfen einander einen Blick zu, und Martha kicherte.
«Gegenteilpferde», sagte Martha mit vollem Mund.
Danowski wiegte sein Käsebrot unschlüssig in der Hand, weil ihm das Abbeißen an den Vorderzähnen weh tat. «Gegenteilpferde? Wie geht das denn?»
«Na ja, zwei sind halt so Pferde, und eine dressiert die Pferde, aber sie sagt immer das Gegenteil davon, was die Pferde machen müssen», erklärte Stella im leicht gönnerhaften Tonfall der Neunjährigen, der es zu ihrem eigenen Erstaunen Spaß gemacht hatte, mit der jüngeren Schwester und ihrer Freundin zu spielen.
«Verstehe ich nicht», sagte Danowski. Leslie musterte ihn misstrauisch, weil er so tat, als wäre nichts, obwohl er eine Abschürfung am Kinn hatte.
«Also, Papa», sagte Martha erhitzt, «wenn man zum Beispiel sagt ‹Galopp›, dann legen die Gegenteilpferde sich hin, und wenn man sagt ‹Ruhig!›, dann fangen sie an zu wiehern.»
«Wie verkehrte Welt», sagte Stella. «Nur mit Pferden.»
«Okay», sagte Danowski und kaute vorsichtig. «Verkehrte Welt. Nur mit Pferden. Das verstehe ich.»
«Und kitzelst du uns nachher ab?», fragte Martha erwartungsvoll.
«Nein», sagte Danowski. «Nicht ab. Aber durch.» Und als sie zustimmend protestierten gegen seinen Scherz und Leslies Stirn sich dabei langsam entspannte, gefiel ihm das herrlich harmlose Käsebrot, und er ahnte, dass dies auf längere Zeit sein letzter schöner Abend sein würde.
13 . Kapitel
Joaquín Maurizio saß an seinem Schreibtisch, betrachtete die Bürouhr an der Wand über dem Faxgerät und dem Kopierer und rauchte mit Hingabe seine dritte Bürozigarette an diesem Morgen. Selbstverständlich war das Rauchen in seiner Abteilung der Policía Nacional von Panama verboten. Außer sein Chef hatte Stress und schnorrte von ihm eine Zigarette, mit der er sich dann in seinen Glaskasten zurückzog. Aber heute war Maurizio allein im Großraumbüro, denn seine Kollegen waren zum Kanal ausgerückt oder hatten sich krank gemeldet. Die Polizei in Colón hatte Verstärkung aus der Hauptstadt angefordert, um die Proteste gegen die Privatisierung der Freihandelszone erfolgreicher niederschlagen zu können. Ihre bisherigen Versuche in diese Richtung waren eher glücklos verlaufen: drei Tote durch Polizeikugeln, einer von ihnen ein zehnjähriger Junge. Maurizio seufzte.
Sein Chef hatte ihn gefragt, ob er sich nicht auch krank fühlte, aber schon die Frage hatte Maurizio stur gemacht, und er hatte mit Nein geantwortet. Von allen Polizisten, deren Familien als gewerkschaftsnah galten, wurde erwartet, dass sie sich krank meldeten, um die professionelle Niederschlagung der Proteste nicht zu gefährden. Und weil Maurizio gewerkschaftsnah und stur, aber nicht krank war, hatte sein Chef ihn aufgefordert, «hier die Stellung zu halten».
Dies hieß für Maurizio rauchen, denn wenn man wollte, konnte man die Arbeit in seiner Abteilung beliebig aufschieben. Zum Beispiel die Anfragen ausländischer Polizeidienststellen, die Unterstützung für Ermittlungen auf Schiffen unter panamaischer Flagge brauchten. Eine lästige Begleiterscheinung der Tatsache, dass weltweit Tausende von Fracht- und Passagierschiffen unter dieser Flagge fuhren, um im Heimatland ihrer Reedereien keine Steuern zahlen zu müssen. Manche dieser Anfragen waren formuliert, als
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