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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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dass die Menschen an Bord sich in zwei Gruppen teilten: Die einen waren sorglos und ihrem Schicksal ergeben und litten nur unter den Begleitumständen der Quarantäne. Kein frisches Essen, Wasser in Plastikflaschen, für das man anstehen musste, immer wieder Stromausfälle, Langeweile und vom Ufer unverständliche Rufe, die Aufmunterung sein mochten oder Beschimpfung. Die anderen, und noch waren sie in der Minderheit, fürchteten das Virus so sehr, dass sie nichts anderes beklagten. Sie bunkerten Lebensmittel und Wasser und mieden Menschengruppen, sie versteckten sich in allen Winkeln des Schiffes und wurden inzwischen «die weißen Ratten» genannt,
ratti bianchi
. Weil sie in ihre Verstecke huschten, sobald sie jemandem begegneten, und weil sie ihre Gesichtsöffnungen dabei hinter feuchten weißen Bettlakenfetzen schützten.
    Es hatte eine Weile gedauert, aber jetzt war allen klar, dass die Quarantäne wirklich zwei volle Wochen dauern würde und dass das Schiff in dieser Zeit im Grunde ein rechtsfreier Raum war. Mit der deutschen Bundespolizei als Randerscheinung, weil sie zwar die Grenze des Schiffes sicherte, aber auf das, was sich an Bord abspielte, keinen Einfluss hatte. Und mit der Crew des Schiffes als einer Art Miliz, die für eine anarchische Parodie von Ruhe und Ordnung sorgte. Zum Beispiel, indem sie angeblich die afrikanischen Besatzungsmitglieder auf einem der unteren Decks komplett isoliert hatte. Sie hatte die Gerüchte gewissermaßen aus dem Augenwinkel registriert, aber das leichte Unbehagen darüber mit einer Mühelosigkeit verdrängt, die sie selbst kurz erstaunt hatte. Wenn es ihr jetzt bewusst wurde, musste sie zugeben, dass sie sich durch die Freiheitsberaubung der Afrikaner vage getröstet fühlte: Wenigstens war sie nicht die Einzige an Bord, die daran gehindert wurde, sich frei zu bewegen.
    Aber warum? Und von wem? Und gerade, als sie in Gedanken wieder zurückkehren wollte zu den beiden Fragen wie zu wunden Stellen im Mund, die man mit der Zunge nicht in Ruhe lassen konnte; gerade, als sie anfangen wollte, endlich über Carsten nachzudenken und über sich und vielleicht auch endlich über seine Frau – gerade in dem Moment hörte sie, wie die Schiffsdiesel schräg unter ihr mit einer gewaltigen Anstrengung ihr Gesichtsfeld und die Unterseite des Etagenbetts über sich zum Vibrieren brachten. Sie richtete sich auf und blickte unwillkürlich an die Wand, wo in der Kabine von Carsten die Tür gewesen war, hier aber nur hellgrauer Kunststoff. Es war unmöglich, sich ohne Blick auf die Außenwelt zu orientieren, aber wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte sie geschworen, dass das Schiff dabei war, sich in Bewegung zu setzen.

18 . Kapitel
    «Brainstorming!», riefen die Omis voller Begeisterung. Brainstormen fanden sie angenehmer, als Vermerke zu schreiben, denn es lieferte einen erstklassigen Vorwand, rumzusitzen und zu schwadronieren. Und Danowski würde noch später nach Hause kommen. Er betrachtete Kalutzas Schnurrbart und stellte voller Verblüffung fest, dass er tatsächlich vergessen hatte, welcher der neue war, Kalutzas oder der von Molkenbur. Manchmal, wenn zu viel los war, hatte er Filmrisse auf der mittleren Sachebene, nie mehr als ein paar wenige Minuten am Stück, Zeit, in der er sich aus dem Leben der anderen ausgeblendet hatte wie aus einer laufenden Übertragung.
    «Ach nee, ne?», sagte Finzi.
    «Kommt, Jungs», sagte Kalutza und kratzte sich den Bauch, «Kassensturz wäre schon nicht schlecht. Wo stehen wir, wo wollen wir hin? So die Richtung. Wir haben auch ein paar Ideen. Ich sag nur: Ich hatte eine Farm in Afrika.»
    «Hm?»
    «Die meisten Ostafrika-Reisen werden von spezialisierten Reiseveranstaltern angeboten. Wir haben die mal abtelefoniert, um herauszufinden, wann Kathrin Lorsch das letzte Mal den Schwarzen Kontinent bereist hat», erklärte Molkenbur im Ton eines enervierenden Nachbarn vor dreißig Jahren, der beim Dia-Abend seine Bilder kommentierte, bis alle kopfüber in die Flipsschale sackten. Danowski hasste das Wort «abtelefonieren», das beschäftigte ihn plötzlich sehr, obwohl er auf anderer Ebene zugeben musste, dass die Afrikageschichte nicht uninteressant war, und eigentlich hätte den Omis so was wie Anerkennung gebührt dafür, dass sie die Standards erfüllten, während Danowski irgendwo Jugendliche um Kühlschrankmagneten anging.
    «Und bei den Konsulaten und Botschaften der gängigen Staaten haben wir auch angefragt», lockte

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