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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Linden. Dann hörte er Finzi und Luis zu.
    «Wo arbeitet denn deine Mutter?»
    «Die hat ein Café, so ein Bistro. Mit Mittagstisch. In Eppendorf.» Bemüht, kooperativ zu klingen, aber seltsam verlegen. Offenbar kein Thema, das ihn interessierte. Bis ihm einfiel, halblaut: «Da müsste man mal einen Zettel ranmachen oder so.»
    Finzi notierte den Namen des Cafés. Dolcetto. Danowski lehnte sich an die Spüle.
    «Und warum kommt jetzt die Polizei?»
    «Wir müssen ein bisschen rumfragen über den Mann, der gestorben ist, und deine Mutter ist auf einem Foto mit ihm. Er heißt Carsten Lorsch. Hier. Hast du den schon mal gesehen?»
    Ein müder Blick auf das Bild, das Finzi ihm hinhielt.
    «Nie gehört, nie gesehen. Meine Mutter ist aber mit einer ganzen Gruppe von Leuten an Bord. So ein Schnapslieferant, den sie über ihren Laden kennt, hat sie eingeladen. Eine Werbeveranstaltung oder so. Die gucken sich irgendwelche Schnapsfabriken an. So hat sie mir das erzählt.»
    Danowski vertiefte sich in die Korkpinnwand neben dem Kühlschrank. Ein Familienleben, in Artefakten aus dem Alltag erzählt. Arzttermine, Babyfotos von Freunden, Ansichtskarten, zwei Karten für das Konzert von Neil Young nächsten Monat. Am Kühlschrank eine auf einen Blick unüberschaubare Menge von Magneten, die Luis sicher schon seit Jahren nicht mehr sammelte, aber seine Mutter konnte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen und brachte immer wieder welche nach Hause. Danowski dachte an die mittlerweile tristen Berliner U- und S-Bahn-Devotionalien, die sein Vater ihm seit über dreißig Jahren jedes Jahr zu Weihnachten schenkte. Wenn Finzi ihm einen Blick zugeworfen hatte, hatte er ihn verpasst.
    «Wo ist eigentlich dein Vater? Wenn ich das fragen darf.»
    «Klar, dürfen Sie.» Er löffelte. «Kann ich aber nicht beantworten.»
    «Okay. Noch mal zurück zu Carsten Lorsch. Das ist der Schnapshändler, von dem du eben gesprochen hast.»
    «Kann sein. Und der ist tot?»
    «Ja. Und wir glauben, okay, das wird dich vielleicht überraschen: Wir glauben, dass er eine enge Beziehung zu deiner Mutter hatte.»
    Luis Bender löffelte noch zielstrebiger als bisher, und Danowski fing an, ihn um die Spargelsuppe zu beneiden. «Sie meinen, meine Mutter hatte einen Freund?»
    «Scheint so.»
    «Kann sein.» Pause. «Ich erzähl ihr auch nicht alles.»
    «Wann hast du das letzte Mal mit deiner Mutter gesprochen?», fragte Finzi.
    «Gestern», sagte Luis. «Oder vorgestern. Aber nur kurz. Ihr Akku war fast leer, und die haben da wohl teilweise Probleme mit dem Strom auf dem Schiff.»
    «Und?»
    «Wie und?»
    «Hat sie irgendwas erzählt? Wie geht’s ihr?»
    Luis zuckte mit den Achseln. Danowski sah ihm an, dass er sich Sorgen um seine Mutter machte. «Sie konnte nicht so richtig sprechen.» Finzi schwieg, als wäre der Satz noch nicht zu Ende. War er auch nicht. «Ich glaube, sie hat geweint.» Luis schluckte, nicht nur Suppe.
    Danowski stellte verwundert fest, dass Finzi, der nie in seinem Leben ein Kind gehabt hatte, besser mit dem Jungen reden konnte als er, der sich angewöhnt hatte, seine Kinder im Großen und Ganzen als den Sinn seines Lebens zu betrachten. Er trat an den Kühlschrank und fing an, die Magneten zu studieren. Fruchtzwerg-Buchstaben, HSV - und Sankt-Pauli-Magneten in Trikotform, als hätte die Mutter sich nicht erinnern können, an welchen Verein ihr Sohn glaubte. Ein Surfer, ein Ninja und eine Pharaonin aus der Lego-Kühlschrankmagnetenserie, die es vielleicht nicht mehr gab oder die Stella und Martha zum Glück noch nicht entdeckt hatten. Werbemagneten, so weit sein Auge reichte, das dem Kühlschrank immer näher kam; er beugte sich vor wie selber angezogen. Dann stutzte er. Hinter ihm war es ruhig geworden. Er stützte sich gegen den Kühlschrank.
    «Alles in Ordnung?», fragte Finzi, eher irritiert als besorgt.
    «Interessieren Sie sich für Kühlschrankmagneten?», fragte Luis mit einer sanften Dosis alterstypischen Sarkasmus.
    «Erst seit eben», sagte Danowski. Er löste einen Magneten vom Kühlschrank, der die stilisierte Kinderzeichnung der Michaeliskirche auf einer Blumenwiese in Primärfarben zeigte. Finzi sah ihn nachdenklich an, als überlegte er, ob er jetzt oder später einschreiten sollte.
    «Wo kommt der her?», fragte Danowski.
    «Keine Ahnung. Die meisten davon hat meine Mutter mitgebracht.»
    «Stiftung Gesundes Kind. Schon mal gehört?»
    Luis schüttelte den Kopf, Finzi runzelte die Stirn; immerhin, er bekam eine Reaktion

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