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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Krankheit», sagte Danowski und merkte, dass er sich in die Defensive hatte drängen lassen. Behlings Augen leuchteten auf. «Mag sein», sagte er, «aber es bedeutet ganz bestimmt ’ne psychologische Evaluation und ’ne ganze Menge Sitzungen beim Amtsarzt. Nervig. Und dann das verdammte Gerede hier. Dano, das Sensibelchen. Nee, warte: Hypersensibelchen. Sensibelchen reicht dir ja nicht. Immer ’ne Extrawurst, Adam. Und so weiter. Nimmt dich doch keiner mehr ernst hier. Du weißt ja, wie die Kollegen sind.» Behling lächelte. «Nicht besonders sensibel. Eher so wie ich, weißt du.»

19 . Kapitel
    Finzi saß in der U-Bahn, um nach Hause in seine Anderthalb-Zimmer-Wohnung in Hammerbrook zu fahren, einem Stadtteil, der im Krieg vollständig zerbombt worden war. Und danach auf eine Art und Weise wieder aufgebaut, dass Finzi sich hin und wieder nach neuen Bomben sehnte. Nach dem Entzug und der Scheidung hatten ihm alle abgeraten, in diese Einöde zwischen Kfz-Zulassungsstelle, Autobahnzubringern und den Betontrassen der S-Bahn zu ziehen. Wobei immer mitschwang: Wenn man wieder anfängt zu trinken, dann in Hammerbrook.
    Aber Hammerbrook war billig, und Finzi mochte, dass er einer der wenigen Bewohner inmitten von Büro- und Lagergebäuden war. Er fand, dass seine Wohnsituation etwas Mönchisches hatte, wenig von allem, vor allem: wenig Möbel, wenig Licht, wenig Stille, wenig Nachbarn. Und er fand, dass er, wenn er das aushielt, auch alles andere aushalten konnte. Seit einem Jahr und 257  Tagen ging das gut.
    Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er Behling versetzt hatte, ohne das Kaffeetrinken abzusagen, und weil er Adam mit der Arbeit alleingelassen hatte. Behlings Gegenwart quälte ihn. Nicht nur, weil Behling, wie Adam zutreffend beobachtet hatte, ein Arschloch war. Sondern vor allem, weil Behling ihn an seine dunkle Zeit erinnerte. Adam war damals hilflos gewesen, in einer anderen Dienststelle, unfähig, mal anzurufen oder, was noch besser gewesen wäre: ohne anzurufen vorbeizukommen und Finzi zu Hause in Eppendorf aus seiner Kotze zu ziehen. Behling hatte das getan, manchmal mehrfach am Tag. Behling hatte die Gabe gehabt, seine ganze Arschlochigkeit in der Dunkelheit von Finzis Absturz in etwas durchdringend Entschlossenes zu verwandeln. Behling war so arrogant und stur, dass er es nicht akzeptieren konnte, wenn ein Kollege sich um Kopf und Kragen soff.
    Finzi dachte an den Nachmittag, als er aufwachte, und Britta in der Küche war und er sie dafür hasste, weil das bedeutete, dass er nicht an den letzten Bacardi kam, der hinten unter der Spüle zwischen Bleiche und WC -Ente stand. Der unerträgliche Geruch nach selbstgekochtem Essen. Kochen: der Geruch von Verwesung und langsamer Niederlage. Das Gegenteil der kalten Klarheit des Alks. Der seltsame Riss, in dem plötzlich alle Antworten schimmerten wie Diamanten unter der Erdkruste in einer alten Computerspielanimation. Wie Britta ihn gefunden hatte, als er unten im Einbauschrank kniete und den Gürtel an der Kleiderstange befestigte, die er selbst angebracht hatte. All ihre Kleider lagen auf und vor dem Bett, und er wusste, dass die Stange neunzig Kilo lange genug halten würde, um sich das Genick zu brechen, aber er zitterte zu sehr, um das Gürtelende durch die Schnalle zu fummeln, obwohl beide ja eigentlich dafür gemacht waren, das Gürtelende und die Schnalle. Brittas Blick. Und wie sie gegangen war, den ersten Schritt rückwärts, den zweiten auch, und dann hatte sie sich umgedreht, im Flur ihre Jacke genommen und war weg. Und dann wieder das vergebliche Gefummel mit dem Gürtel und dann, nachdem er das aufgegeben hatte, eine herrliche, perfekte Niederlage, die er als einen der schönsten Momente seines Lebens in Erinnerung hatte: Er lag zusammengerollt unten im Einbauschrank, kraftlos, weinend, und es gab nichts mehr auf der Welt als ihn in diesem Moment, und er begriff, was es hieß, ganz im Augenblick zu leben oder hoffentlich bald zu sterben, sobald dieser Augenblick vorüber war.
    Und dann Behling, der vor ihm gestanden hatte mit zwei seltsam unpassenden Kaffeebechern von Balzac aus Pappe mit Plastikdeckeln, die nach gemütlichem Plausch aussahen. Behling kriegte ja jede Tür auf. Und als er sah, was Finzi da machte oder gemacht hatte, den Gürtel noch in der Hand, kippte er ihm den heißen Kaffee über den Kopf, Cappuccino zum Mitnehmen, grande, erst den einen, dann den anderen, Deckel musste er vorher nicht abnehmen, die platzten von

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