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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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über den Ton beschwerte. Es gehört zu den zwölf Schritten der Anonymen Alkoholiker, sich bei anderen für ihnen zugefügtes Unrecht zu entschuldigen, egal, wie viele Jahre es zurücklag; was sollte ihn also darin hindern, andere auch nach Jahren noch darauf hinzuweisen, dass sie ihn verletzt hatten?
    Finzi schob den Karton zurück ins Regal und fragte sich, was er mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Dann sah er die Unterlagen über einen Giftmord von vor vier oder fünf Jahren. Mit dem Daumen blätterte er durch die Kopien und fing an, sich zu erinnern. Eine schwerstbehinderte Frau, am ganzen Körper gelähmt, die ihren Rollstuhl mit dem Mund bediente. Ihr Mann war an einer Vergiftung gestorben, und am Ende war gerade die Abwegigkeit des Gifts und die Unwahrscheinlichkeit, dass seine Frau diesen Weg gewählt haben könnte, um ihn zu töten, die perfekte Tarnung für ihr Verbrechen gewesen.
    Er setzte sich auf einen wackligen Hocker, der mitten im Verschlag unter einer nackten Glühbirne stand, nahm seinen Teebecher aus dem Regal und begann zu lesen. Alpenveilchen. Schon acht Gramm der Knolle waren tödlich, aber wie es der Frau gelungen war, diese Knolle in den Eintopf ihres Mannes zu schmuggeln, war ihm komplett entfallen.

20 . Kapitel
    Als sie an der Elbe ankamen, war das Schiff verschwunden.
    Danowski lehnte sein Fahrrad an das Geländer am Elbhang und musste feststellen, dass er sprachlos war. Die Wasserfläche zwischen Containerhafen und Cruise Terminal zog mit der üblichen Fließgeschwindigkeit nach Westen, aber außer ein paar Möwen, einem bügeleisenförmigen HVV -Schiff und einer abgetakelten Segelyacht, die langsam gegen den Strom tuckerte, war weit und breit nichts auf dem Wasser zu sehen.
    «Wo ist denn dieses Schiff, Papa?», fragte Stella. Martha und Leslie hatten sie noch nicht eingeholt. Der Nieselregen hatte aufgehört, sie wollten zur «Strandperle». Ein Bier trinken, ein Würstchen essen, Apfelschorle und Waffeln. Er musste lachen. Es war zu schön: das Schiff verschwunden und mit ihm ein großer Teil seiner aktuellen Jobprobleme, untergegangen vielleicht. «Siehst du, Knud», hörte er sich im Geiste zu Behling sagen, «ich hab dafür gesorgt, dass das Problem verschwindet.»
    Stattdessen sagte er: «Mein Schatz, ich weiß es nicht.» Dann rief er in der Dienststelle an, während Leslie und Martha in sein Gesichtsfeld radelten. Parallelwelten zugleich, immer schwierig.
    «Bisschen problematisch», sagte Kalutza. «Die ‹Große Freiheit› musste in Altona vom Cruise Terminal ablegen, weil die da keine externe Stromleitung haben. Das heißt, der Strom an Bord kommt allein aus den Dieselmotoren, und dann waren wohl die Tanks leer. Und die Reederei weigert sich, das Schiff auf eigene Kosten betanken zu lassen. Deswegen sind die Kollegen von der Wasserschutzpolizei jetzt dabei, das Schiff in die Hafencity zu eskortieren, da gibt es einen Stromanschluss im Cruise Terminal.»
    «Gut, dass ihr mir das jetzt schon sagt.»
    «Außerdem gibt es in der Hafencity Proteste dagegen, dass das Pestschiff da anlegt. Angeblich versuchen Anwohner, kaiseitig das Terminal zu blockieren. Kam gerade über die Schutzpolizei rein. Wer weiß also, wo dein Schiff am Ende anlegt. Du hast doch sowieso Feierabend.»
    Leslie blickte aufs Wasser, und er sah, dass sie ganz zufrieden damit war, sich nicht die « MS  Große Freiheit» anschauen zu müssen.
    «Die taucht schon wieder auf», sagte Martha weise.
     
    Später, im Sand, spielten die Kinder, Danowski trank sein Bier, um das er ewig angestanden hatte, und genoss, wie ihm der Elbstrandsand in die Hose kroch.
    «Spielt einer von euch mal mit Marthi? Ich brauch eine Pause.» Während er auf die kleinen Hände seiner jüngeren Tochter klatschte und registrierte, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ, erhitzt vor Begeisterung, dachte er: Warum sehne ich mich bei der Arbeit nach zu Hause, und wenn ich zu Hause bin, denke ich an die Arbeit? Und woher hatte Kathrin Lorsch das verdammte Virus? Und vor allem: Wird sich jemals jemand dafür interessieren, wenn alle sich irgendwie darauf einigen können, dass die Afrikaner das eingeschleppt haben?
     
    Zu Hause stand er am Fenster und beobachtete, wie die Sonne hinter der Aral-Tankstelle unterging. Als er ins Bett ging, war es draußen fast noch hell. Leslie setzte sich auf die Bettkante und zog ihre Decke und ihr Kissen an sich.
    «Gehst du?», fragte er.
    «Ja. Ich will noch fernsehen.»
    «Du störst mich

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