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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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System geordnet, das er heute nicht mehr verstand. Er wühlte ein bisschen und freute sich, dass sein Telefon hier unten keinen Empfang hatte.
    Peters. Wilken Peters. Ein Schnöselvorname, fand er. Vielleicht der Grund, warum er damals überhaupt über die Aktennotiz gestolpert war. Nein, sie war besonders unverschämt formuliert gewesen. Peters war bei der Innenbehörde gewesen, und es hatte Finzi geärgert, dass die Behörde sich übers Präsidialamt Kopien von Ermittlungsakten besorgt hatte. Die Geschichten aus Belgien lagen damals noch nicht so lange zurück. Menschenhandel, Kinderhandel, die üblichen Gerüchte über Pädophilenringe und Sexpartys, an denen angeblich Männer aus der sogenannten besseren Gesellschaft teilgenommen hatten. Alle paar Jahre ging auch in Hamburg eine neue Geschichte erst durchs Präsidium, dann durch die Presse, irgendwelche Gerüchte, Verschwörungstheorien. Höllisch zu ermitteln, denn das meiste daran war nicht nachweisbar oder haltlos, und mit jedem Misserfolg bestätigte man den Verdacht all jener, die glaubten, die Polizei hälfe, etwas zu vertuschen. Schön, wenn man da zwischendurch was zu trinken hatte.
    Bei dieser Geschichte aber war es ein wenig konkreter geworden, zumindest rankten sich die Gerüchte um einen konkreten Gegenstand, fiel ihm jetzt wieder ein, wo er in den Kisten wühlte: ein Videoband, eine damals schon veraltete VHS -Kassette, auf der angeblich «was mit Kindern» und ein Hamburger Geschäftsmann zu sehen sein sollte. Finzi schüttelte unwillkürlich den Kopf, während er durch die Unterlagen blätterte. Niemand hatte dieses Band jemals gefunden, aber ein Schlepper erzählte, dass ein unaufgeklärter Mord an einer Tankstelle in Billstedt damit zusammenhinge: der Tote hätte versucht, jemanden mit dem Band zu erpressen, der sich das nicht hätte bieten lassen.
    Am Ende stellten die Kollegen aus dem Institut für Rechtsmedizin fest, dass der Tote von der Tankstelle an einem Herzinfarkt gestorben war und sich seine Kopfverletzung erst beim Sturz auf den Asphalt zugezogen hatte. Trotzdem hatten sie Hunderte von Videokassetten in der Wohnung des Toten sichergestellt, und jetzt wusste er auch wieder, wonach er suchte. Sein Dienststellenleiter hatte damals einen Antrag beim Präsidialbüro auf Sonder-Überstunden gestellt, damit zwei Mann, darunter Finzi, die Videos sichten konnten. Sie wussten aus Erfahrung, dass belastende Videoaufnahmen wie Kinder-, Gewalt- oder Tierpornos oft in Fünf- bis Zehn-Minuten-Schnipseln inmitten von «Wetten dass …?» oder «Sabine Christiansen»-Aufzeichnungen versteckt waren, auf 300 er-Kassetten. Wenn man viele davon fand, war das immer ein Alarmsignal.
    Irgendjemand musste sich also das ganze Zeug zumindest im Schnelldurchlauf angucken: 168  Bänder à fünf Stunden, im Long-Play-Modus sogar zehn Stunden, zumindest Stichproben, unfassbar langweilige und mühselige Arbeit und ohne Überstunden nicht zu machen. Die Anforderung war vom damaligen Inspektionsleiter abgezeichnet und ins Präsidialbüro weitergeleitet worden. Finzi hielt sie jetzt in den Händen und studierte die Eingangsstempel der unterschiedlichen Abteilungen. Im Präsidialbüro hatte jemand ein Fragezeichen darauf gemacht und ein Kürzel, das Finzi nicht wiedererkannte. Und dann war die Anforderung an die Innenbehörde weitergeleitet worden, und hier kam Peters ins Spiel. Der Eingangsstempel von Peters’ Abteilung war der vorletzte, und daneben stand in raumgreifender Handschrift:
«Auf keinen Fall. Schwachsinn. Peters, 16 . 09 . 01 ».
Dann folgte der letzte Eingangsstempel, als die Anforderung wieder bei ihnen auf der Dienststelle ankam. Also hatten sie die Videokassetten nicht gesichtet, und irgendwann waren sie aus der Asservatenkammer verschwunden, Sondermüll.
    Aber es war das Wort «Schwachsinn», das ihn damals aufgeregt hatte. Als wenn sie einfach nur ein paar Schmarotzer gewesen wären, die sich Überstundengeld hätten erschleichen wollen. Wie einfach es war, das, was sie sich überlegt hatten, mit einem Federstrich zunichtezumachen. Und wenn es nur bei dem Federstrich geblieben wäre; aber stattdessen war auch noch ihre Arbeit abqualifiziert worden. Peters. Darum hatte er den Namen nicht vergessen.
    Finzi faltete die Kopie des Anforderungsschreibens zusammen und steckte sie in die Hosentasche. Er beschloss, sie vom Büro aus mit der Dienstpost an Peters zu schicken, in die Gesundheitsbehörde, und einfach einen Satz dazu zu schreiben, in dem er sich

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