Treibland
Praktisch, wenn er seine Augen nicht in den vielen Spiegeln hier an Bord sehen wollte.
Zwei Handys, kein Ladegerät.
Zwei Adumbran, inzwischen leicht fusselig wie Bonbons aus der Handtasche seiner Mutter.
Ein Kühlschrankmagnet. Hey, ein Kühlschrankmagnet. Na, dann konnte ja nichts mehr schiefgehen. Für den Fall, dass er plötzlich mit einem großen stählernen Kühlschrank konfrontiert würde, könnte er im Handumdrehen etwas daran befestigen.
Zwei oder drei transparente Plastikbeutel zur Beweismittelsicherung. Leer. Und die Quittung für seine Dienstwaffe, die sie ihm an der Rezeption abgenommen hatten.
Mehr hatte er nicht, und mehr würde er erst mal auch nicht bekommen. Die Quarantänevorschriften verboten es, sich persönliche Dinge an Bord liefern zu lassen, weil niemand die Verantwortung dafür übernehmen wollte, dass tausendfünfhundert Passagiere eine unübersichtliche Menge von Zeug anforderten, von dem jedes einzelne Teil hätte untersucht und desinfiziert werden müssen, um die Suche nach potenziellen weiteren Infektionsherden an Bord nicht durch Keime aus der Außenwelt zu erschweren. Es war wie in einem Pfadfinderlager, in dem er ohne Vorankündigung gelandet war: Er musste auskommen mit dem, was er am Körper hatte.
Nach dem Aufwachen schaute er als Erstes, ob die Socken und die Unterhose trocken waren, die er gestern Abend im Handwaschbecken mit ein wenig Flüssigseife gereinigt hatte. Er erschrak kurz bei seinem eigenen Anblick im fast wandfüllenden Spiegel, der hier in der Innenkabine das Bullauge ersetzte. Er schlief nackt, um seine Wäsche zu schonen. Dann begutachtete er seine Besitztümer, die er auf dem gegenüberliegenden Bett ausgebreitet hatte, und ihm sank das Herz. Erstaunlich, in was für einem schlechten Zustand das meiste von dem war, das er täglich mit sich herumtrug. Und wie ungeeignet für irgendwelche anderen Zwecke als die unmittelbarsten. Er hatte nicht einmal ein Taschenmesser. Er hatte nichts zum Tauschen, wenn er mit anderen Passagieren über die Benutzung ihrer Ladegeräte verhandeln wollte. Vielleicht konnte er ihnen das Verschwinden von Strafmandaten und Bußgeldbescheiden in Aussicht stellen, für später, wenn all das hier vorbei war.
Die Unterhose war noch feucht, aber er zog sie an, das war alternativlos. Als er fertig war, blickte er sich um. Vorsichtig nahm er den Kühlschrankmagneten vom Bett und steckte ihn in einen Plastikbeutel. Einfach, um irgendetwas zu tun.
Die Telefonate mit Leslie und den Kindern waren kurz und schmerzhaft, genau wie gestern Abend. Er hatte nichts Neues zu erzählen. Die mit Finzi und der Staatsanwaltschaft waren auch kurz, aber nicht kurz genug, als dass er nicht in Gedanken hätte abschweifen können. Er merkte, dass er sich nicht dafür interessierte, was die Omis herausgefunden hatten: Kathrin Lorsch und ihr Mann hatten im Herbst eine Ostafrikasafari gebucht. Sie hatte ihm und Finzi gesagt, von einer Reservierung wüsste sie nichts. Vergaß man so was? Hatte ihr Mann sie einfach mit angemeldet, ohne ihr davon zu erzählen? Die Firma ihres Mannes war schon lange auf sie überschrieben, deshalb zögerte Habernis, sie vorladen zu lassen. Schadete es nicht dem Motiv, wenn ihr die Firma längst gehörte? Eine Liste von Pharmafirmen in Altona, die die Omis auf seinen Schreibtisch gelegt hatten, darauf drei Namen, die Finzi inzwischen, Zitat, abtelefoniert hatte. Simone Bender hatte bei der PSP harm gearbeitet, bis deren Ottenser Fabrik vor sechs Jahren abgerissen worden war, das Gelände verkauft, heute waren da Eigentumswohnungen. Danowski rieb sich die Stirn.
Wo war Simone Bender?
Dann hatte ihn Kathrin Lorsch angerufen. Erst war er nicht rangegangen. Es ähnelte einer Flucht nach vorn, wenn Zeugen spürten, dass sie sich in Verdächtige verwandelten und Grund zu schlechtem Gewissen hatten; es war verbreitet, dann selbst nach dem Fortgang der Ermittlungen zu fragen, statt auf einen Besuch oder eine Vorladung zu warten. Eine ganz alte Taktik, die sich reinzuziehen er im Grunde nicht genug Akku-Power hatte. Doch dann hatte die ganz spezielle Form von Einsamkeit gesiegt, die er hier an Bord verspürte, eine Mischung aus schlechter Luft, Kaffeedurst, Untätigkeit, Langeweile und Depression.
«Ich hab Ihr Bild in den Nachrichten gesehen», sagte sie.
«Ich hab’s befürchtet», sagte er. Das hatte ihm Leslie verschwiegen.
«Man nennt Sie den ‹Pestbullen›.»
«Das ist nicht mal in derselben Gruppe von Krankheit»,
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