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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Erste, was er am Morgen spürte, war der Kaffeebecher in seiner Hand, buntes Steingut aus Leslies Sammlung, PanAm, Dresdner Bank, nur halbvoll, damit er nichts verschüttete, wenn die Kinder zum Toben ins Bett kamen. Und diese Goretex-Faschisten, diese Unmenschen, diese Glücksmörder waren drauf und dran, ihm den letzten Becher hier an Bord zu stehlen. Er konnte sie jetzt nicht mehr einholen, er konnte nur noch hoffen. Und wenn er eins gelernt hatte hier in den letzten Tagen, dann, dass er darin nicht gut war.
    Als sie Deck  11 erreichten, hatte er sie fast eingeholt, und als sie endlich im offenen Café-Bereich standen, war er so gut wie Teil ihrer Gruppe geworden. Dies, stellte er fest, geschah ständig hier an Bord: Solange man einen Vorteil witterte, war man allein, aber in der Enttäuschung bildeten sich die schnellsten und erstaunlichsten Allianzen. Kaffee jedenfalls war weit und breit nicht zu sehen. In der Nähe der silbernen Warmhaltekannen standen Menschen in kleinen Grüppchen und allein, als wären sie ganz zufällig hier. Im Moment der Ernüchterung wollte niemand zugeben, auf ein sinnloses Gerücht hereingefallen zu sein.
    Danowski setzte sich auf einen beigefarbenen Plastikkorbstuhl an einen runden Tisch und guckte so, dass die übrigen fünf Stühle leer blieben. Wie immer achtete er darauf, sich steuerbords zu halten, damit er auf den Containerhafen schaute und nicht auf die Stadtseite, wo die Schaulustigen von Tag zu Tag weniger wurden. Als ihm das aufgefallen war, hatte er gedacht: Gut, sie beruhigen sich, die Sensationsgier lässt nach. Bis ihm klarwurde, dass das Gegenteil stimmte, sie trauten sich einfach von Tag zu Tag weniger nah ans Schiff heran.
    Ein paar Schritte von ihm entfernt war ein Crewmitglied damit beschäftigt, die Metallfüße eines Korbstuhls auszubessern, ein Südamerikaner oder Indonesier, Danowski hatte keine Ahnung von internationalen Physiognomien. Anfang fünfzig, mit grauschwarzem Haar und einer Lesebrille, die er offenbar zum Arbeiten brauchte. Ausgewaschener graublauer Overall mit dem Logo der Reederei und kurzen Ärmeln. Weil Danowski ihn anstarrte, unterbrach er seine Arbeit und blickte auf, freundlich.
    «Needs to be done», sagte er und wies mit seinem Werkzeug auf den Korbstuhlfuß. Danowski zuckte die Achseln und blickte skeptisch.
    «Really?»
    «It’s broken», sagte der Mann, offenbar eine Art Schiffstischler. Er zeigte Danowski, wo das Aluminium am Fuß gerissen war und ins Korbgeflecht geschnitten hatte. Danowski machte eine Handbewegung, die bedeuten sollte: Ja, das sehe ich, aber wenn man bedenkt, dass wir hier gegen unseren Willen auf diesem Schiff festgehalten werden und dass jeder von uns jeden Augenblick die Symptome einer tödlichen Krankheit entwickeln kann, zum Beispiel ich am Ende dieses Gedankens oder Sie am Ende dieser Korbstuhlfußausbesserung, dann ist doch alles komplett sinnlos, oder etwa nicht?
    Der Schiffstischler wiegte den Kopf und beantwortete Danowskis vielsagende Handbewegung mit den Worten: «Always good to do the job.» Darauf fiel Danowski mehr ein, als er in eine weitere Handbewegung hätte packen können. Er schwieg. Der Tischler zeigte auf die Tür eines kleinen Verschlags, die nicht weit entfernt von der Cafeteria in der Bordwand war. Sie stand halb offen, dahinter sah man Werkzeuge und Halbdunkel.
    «The lock is broken», erklärte der Tischler. «And it stays broken. Because the locksmith doesn’t care about the job. That’s bad. So what is your job?»
    «Police», sagte Danowski. «I’m a policeman.»
    Der Tischler lachte. «Okay. I see. Not much you can do here, then.»
    Danowski schüttelte den Kopf und sah dem anderen dabei zu, wie er seine Arbeit wieder aufnahm. Ich bin so ein verdammter Kitschonkel, dachte er. Mir reicht eine Begegnung mit einem weisen Indianer (mittlerweile war er davon überzeugt, dass der Tischler ein Indio aus Südamerika war), und schon sehe ich klarer und weiß, was zu tun ist. Polizeiarbeit, dachte Danowski. Das Einzige, was mich jetzt noch retten kann vor Depression und Angst ist gute, altmodische Polizeiarbeit.
    Er lehnte sich zurück und seufzte, weil er keine Ahnung hatte, wie das gehen sollte ohne den Kaffee, den er sich schon so lebhaft vorgestellt hatte.
     
    Sein Wasser trank er gern in einer Bar auf Deck  5 , die «Klabautermann» hieß und aufdringlich und naheliegend nautisch dekoriert war. Fischernetze, auf Kirschholz genagelte Taue, dekorative Messinginstrumente, mit denen man

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