Treibland
sagte Danowski, zu pedantisch, um Akkustrom zu sparen. «Die Pest war eine bakterielle Erkrankung. Das hier ist ein Virus.»
«Ein ‹Horror-Virus›», korrigierte sie, die Anführungszeichen in der Stimmfärbung. Er schnaufte.
«Warum haben Sie mir bei meinen zahlreichen Besuchen vorige Woche nicht erzählt, dass Sie im Herbst mit Ihrem Mann nach Afrika fahren wollten? Drei Wochen Safari durch Kenia und den befriedeten Teil des Kongo.»
Sie schwieg einen Moment. «Das habe ich nicht gewusst. Und selbst wenn, was würde es jetzt bedeuten?»
«Ach, ich bitte Sie», sagte er und fand, dass er sich anhörte wie eine Figur von Loriot. «Das ist insgesamt ein bisschen viel Afrika, finden Sie nicht? Und warum sollte Ihr Mann Sie mit einer Safari überraschen, wenn er eine Geliebte hat und Ihre Ehe so gut wie abgelaufen war?»
«Vielleicht wollte er mich überraschen, weil die Dinge zwischen uns nicht so klar waren, wie sie Ihnen jetzt scheinen. Und mir.»
«Und, haben Sie die Firma schon verkauft?» Er merkte, dass er sie damit mehr oder auf andere Weise überrascht hatte als mit der Safari. Schade, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
«Nein», sagte sie schließlich. «Aber das werde ich so schnell wie möglich tun. Und warum auch nicht.»
«Also, meinen Segen haben Sie. Aber es fällt mir trotzdem auf.»
«Kann sein, dass ich deshalb in zwei Wochen in die USA fliegen muss. Darf ich das?»
«Was sollte ich dagegen haben», sagte er düster.
«Und sonst?», fragte sie, als telefonierten sie öfter. «Haben Sie noch was rausbekommen?»
Er biss die Zähne zusammen wegen des dummen Wortes. «Ich bin ziemlich beschäftigt hier», sagte er und putzte zum zweiten Mal seine Schuhe, indem er sie von unten am gegenüberliegenden Bett rieb. «Simone Bender habe ich noch nicht gefunden, falls Sie das meinen. Ich glaube, sie versteckt sich. Also hat sie wohl Angst. Können Sie sich vorstellen, wovor oder vor wem?»
«Die Angst ist bei Tag ein guter Begleiter, aber nicht bei Nacht», sagte Kathrin Lorsch.
«Oh, bitte», sagte er und unterdrückte ein Gähnen.
«Madagaskar», sagte sie. Er legte auf.
Dann betrachtete er sein Handy. Vor zwei Tagen hatte Kristina Ehlers versucht, ihn anzurufen. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Dann hatte sie ihm eine SMS geschickt: «Habe info», mehr nicht. Das war typisch für sie: rumlabern, was das Zeug hielt, aber zu bequem, um auf der Tastatur einen vollständigen, geschweige denn höflichen Satz zu schreiben. Seitdem schob er es auf, sie zurückzurufen. Er hatte keine Lust, noch mehr über die Krankheit zu erfahren, die sich womöglich draußen vor seiner Innenkabine ausbreitete. Oder darin.
Eigentlich hätte er Simone Bender suchen müssen, und dann stellte er Entgegenkommenden in Gängen die Frage nach ihr und zeigte das Bild, und wenn er dreimal kein Ergebnis bekommen hatte, gab er seiner Sehnsucht nach und ging aufs Oberdeck. Obwohl der Blick von da für ihn in alle Richtungen schwer zu ertragen war. Weil jedes Detail ihn daran erinnerte, wo er jetzt überall lieber wäre. Nach Osten hin, der Liegerichtung des Schiffes folgend, wurde alles immer älter. In mittlerer Entfernung sah man das geschwungene Dach des Großmarktes. Eingebettet in die Oberleitungen und Anlagen der Bahn, halb verdeckt von den Baukränen an den frischen Gruben am Elbrand der Hafencity. Dahinter erhoben sich mit melancholischer Eleganz die alten Elbbrücken, gleichmäßig verschlungen wie zwei phasenversetzte physikalische Kurven. Direkt am Cruise Center stand ein etwa fußballfeldgroßes Sandplateau, drei, vier Meter hoch, ganz glatt abgedeckt mit schwarzem Plastik, sodass es von oben aussah wie ein Mahnmal, aber Danowski wusste nicht, wofür, und er störte sich am Wort fußballfeldgroß, das ihm nicht aus dem Kopf ging, denn gern hätte er an irgendeinem Fußballfeldrand gestanden und mit müden Augen mit angesehen, wie Martha sich sekundenlang nicht zwischen den beiden Toren entscheiden konnte. Im Zweifelsfall, dachte er, ist es ein Mahnmal für meine eigene unaussprechliche Dummheit. Selbstkontaminierung. Es klang wie eine besonders umständliche Form von Selbstmord oder eine besonders abartige von Selbstbefriedigung. Wer weiß, dachte er irr, vielleicht gehöre ich ja genau hierher, vielleicht war es das, was ich mir unbewusst gewünscht habe, als überfällige Strafe für die unfassbare Saumseligkeit meiner Existenz. Hypersensibel, arbeitsscheu und immer mit den Gedanken woanders.
Wenn
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